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zum Epigonen und Nachahmer verurteilt. Schon aber war wieder eine Kunstbewegung im Gange, die dem wunderbaren Jahrhundert englischer Poesie eine dritte Blüteperiode schenken sollte, indem sie neue Sphären dichterischer Ausdrucksmittel, neue Quellen der Inspiration erschloß. In ihrem Mittelpunkte steht die geniale Persönlichkeit Dante Gabriel Rossettis, die das Geistesleben Englands auf dem Gebiete zweier Künste auf das tiefste beeinflußt hat. In seinem Schaffen hat sich der Geist der italienischen Kultur, der die englische Literatur seit den Tagen Chaucers die förderlichsten aller von außen empfangenen Anregungen verdankt, am innigsten mit dem Wesen englischer Dichtung verbunden. Es gehört zu den eigenartigsten literarischen Phänomenen, daß zwei der größten englischen Lyriker, Dante Gabriel und seine Schwester Christina R., italienischer Herkunft sind.

Der Dichter und Schriftsteller Gabriele Rossetti, der als Antiquitätenkustos am Neapolitaner Museum angestellt war, hatte sich unter den Bourbonen durch seine Gesinnung politisch kompromittiert und flüchtete mit Hülfe englischer Offiziere nach Malta, von wo er sich 1824 nach England wandte. Er gründete sich in London als Sprachlehrer eine bescheidene Existenz und fand dort in der Tochter eines Landsmannes, des toskanischen Schriftstellers und Milton-Übersetzers Polidori, der sich in England niedergelassen und eine Engländerin geheiratet hatte, seine ausgezeichnete Lebensgefährtin. Die in beiden Familienzweigen vielfach hervortretende literarische Begabung summierte sich in den Kindern und flammte zum Genie auf in Dante Gabriel und Christina, während sich William Michael (geb. 1829) zu einem feinfühligen ästhetisch-literarischen Kritiker entwickelte; die älteste Tochter Maria (1827-76), deren reiches Gemütsleben ganz in religiöser Vergeistigung aufging, hat sich wenigstens mit einer Danteschrift (A Shadow of Dante, 1871) literarisch betätigt.

Unter dem Doppeleinfluß englischer und italienischer Kultur in einem zweisprachigen Hause aufwachsend, entwickelte sich D. G. Rossetti rasch zu künstlerischer Frühreife. Die Romanze "Sir Hugh the Heron" (entstanden 1841), die Polidori in großväterlichem Stolze 1843 privat drucken ließ, darf freilich nicht als Dokument herangezogen werden; Rossetti hat sich nachdrücklichst dagegen verwahrt, daß man diese Kinderstubenpoesie, die er als “absurd trash" bezeichnete, ihm je nachtrage oder gar neudrucke. Beachtenswert dagegen sind bereits die metrischen Übersetzungen, mit denen seine Dichtung einsetzt. Kaum hatte er deutsche Sprachstudien begonnen, so lockte es ihn, Bürgers Lenore zu übertragen (c. 1844, veröffentlicht 1900) man wird an die Anfänge Walter Scotts und die bedeutsame Rolle der Lenore in der Frühzeit der englischen Romantik erinnert. Eine Übersetzung des Nibelungenliedes wurde 1845 in Angriff genommen (im Mskr. verschollen); eine Bearbeitung von Hartmanns Armen Heinrich (um 1846, gedruckt 1886) schloß diese Periode germanistischer Interessen ab. Sie traten zurück vor der wachsenden Anziehungskraft Dantes und der frühitalienischen Lyriker, die ihm um so näher lagen, als der Vater ein glühender Verehrer Dantes war und in wunderlichen Dantestudien, die in einem seltsamen Kommentar zur Divina Commedia gipfelten, ganz aufging. Die "Early Italian Poets together with Dante's Vita Nuova", die D. G. R. 1861 veröffentlichte, sind eine dichterische Leistung ersten Ranges; aus dem "Memoir" seines Bruders geht hervor, daß der größte Teil dieser kongenialen Nachdichtungen schon 1845-49 vollendet war und später nur unwesentlichen Ausfeilungen unterzogen wurde.

In der Schule solcher dichterischer Übersetzungstätigkeit reifte das instinktive Gefühl für Formenschönheit, das Rossetti als Erbteil romanischen Blutes zuteil geworden war, zu der jugendlichen Meisterschaft, die

gleich in seinen ersten Originaldichtungen sich in so wunderbarer künstlerischer Geklärtheit offenbart; sein berühmtestes Gedicht, "The Blessed Damozel", stammt schon aus dem Jahre 1847, und um dieselbe Zeit entstanden "My Sister's Sleep", "Ave", "The Portrait", "The Choice" erlesenste Werke seiner Kunst. Bezeichnend für die Stärke seiner schöpferischen Imagination ist, daß die tiefinnerliche Stimmung aller dieser Gedichte auf rein poetischer Gefühlskonzentration beruht; weder "My Sister's Sleep" noch "The Blessed Damozel" und "The Portrait" haben eine biographische Unterlage. Es mutet wie eine seltsame Vorahnung künftigen Schicksals an, daß der dem Knabenalter kaum entwachsene Dichter sich in den beiden letztgenannten Werken von Empfindungen durchschauern ließ, die ihm in der Mitte seines Lebensweges zu herbster seelischer Erfahrung werden sollten.

Auch das ganz von katholischem Geiste durchwehte "Ave" ist zunächst nur ein Ausdruck künstlerischer Religiosität. Denn Rossetti war im mütterlichen anglikanischen Glauben erzogen worden und neigte später intellektuell zu agnostischer Haltung. Dennoch wäre es oberflächlich und unzutreffend, bei seinen religiösen Gedichten und Gemälden von bloß anempfundener Stimmung zu sprechen; sie sind einer Sphäre seines komplizierten Seelenlebens entsprungen, in der die geheimsten Adern seines transzendenten Spiritualismus pulsierten. Die innere Ernsthaftigheit seiner religiösen Werke hat Rossetti selbst, in einer Unterredung mit Canon Dixon (Memoir pg. 407), nachdrücklich betont. Namentlich die katholische Symbolik und Kunst, vermittelt vor allem durch Dante, wurde für ihn eine reiche Quelle künstlerischer Inspiration. Von ihrem Einfluß legte er selbst Zeugnis ab, indem er eine Reihe von Jugenddichtungen in seinem Manuskripte mit der Überschrift "Songs of the Art Catholic" versah. Dieselben Einflüsse und Neigungen zeigen die Anfänge seiner Malerei. Sein malerischer Genius äußerte

Jiriczek, Englische Dichter.

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sich ebenso früh wie der dichterische. Er hatte nach Abschluß seiner Schulzeit vier Jahre lang eine private Kunstschule besucht und war dann in die Antikenklasse der Royal Academy eingetreten. Unbefriedigt von ihrem schematischen Lehrgange verließ er sie jedoch nach kurzer Zeit und fand an dem Maler Ford Madox Brown, einem originalschöpferischen Meister, der abseits vom akademischen Kunstbetriebe wenig beachtet und verkannt seine eigenen Wege ging, einen Leiter und Freund. Bald wurde er mit zwei gleichstrebenden Kunst- und Altersgenossen, William Holman Hunt (geb. 1827) und John Everett Millais (1829-96) bekannt, und im Jahre 1848 nahm der Freundeskreis, dem sich binnen kurzem noch einige andere junge Künstler anschlossen, zur Bezeichnung seiner Kunstprinzipien den Namen "The Pre-Raphaelite Brotherhood" an. Er sollte nicht eine Absicht ausdrücken, zu der Technik und dem Stile der mittelalterlichen Malerei zurückzukehren, sondern entsprang der Opposition gegen die akademische Konvention, die in Raffael den Gipfel und das Muster der Malerei feierte und ihn zu einer Schulautorität umprägte. Die jugendlichen Sezessionisten des Jahres 1848 fanden in der christlichen Kunst vor Raffael, vor der Renaissance, naivere Innigkeit, sinnvollere Symbolik, größere Naturtreue, unmittelbareren Ausdruck der inneren Überzeugung und seelenvollere Auffassung als in der üppigen Renaissancemalerei. Soweit es sich bei der Anknüpfung an die präraffaelische Kunst um mehr als einen ausdrucksvoll-bezeichnenden Namen handelte, schwebte ihnen eine moderne Wiedergeburt des Geistes der Wahrhaftigkeit und symbolischen Verinnerlichung, den sie an den alten Meistern bewunderten, als Ziel vor. Unbedingte Naturtreue, liebevolles Studium der Objekte und der Freilichtwirkungen, sorgfältigste Behandlung aller Details bildeten den naturalistisch-technischen Teil ihres Programms; die Forderung, das Kunstwerk solle eine bedeutende Idee zum Ausdruck bringen, von der die Kompo

sition derart beherrscht sein müsse, daß jede Einzelheit zu dem Grundgedanken in Beziehung stehe, stellt diese Technik in den Dienst einer spirituellen Symbolik.

Von einem einheitlichen Stil der Präraphaeliten (im technischen Sinne) kann ebensowenig die Rede sein wie von einer Schule. Der Freundeskreis löste sich bald auf, und von den drei in seinem Mittelpunkte stehenden Malern schlug jeder von vornherein seine eigenen Wege ein. Millais geriet bald weit ab von dem eigentlichen Präraphaelitenprogramm, dessen Prinzipien Hunt in starrer und einseitiger Auslegung dauernd vertrat, während Rossetti es in seiner vergeistigtesten Wesenheit fortbildete. In seinen Madonnen, Beatricen und träumerischen Frauentypen ist er der Maler der Seele geworden wie der fiktive Künstler mit dem Motto "Manus animam pinxit" in seiner symbolistischen Erzählung "Hand and Soul" (The Germ Nr. 1), die Rossettis intimstes künstlerisches Selbstbekenntnis enthält.

Die ersten öffentlich ausgestellten Gemälde der Präraphaeliten (1849; Hunt und Millais waren jedoch schon vor der. Gründung der P. R. B. mit Gemälden hervorgetreten) fanden im allgemeinen freundliche Aufnahme bei der Kritik. Als man jedoch auf die mysteriösen drei Buchstaben hinter den Signaturen und ihre Bedeutung aufmerksam geworden war, behandelten die leitenden Kreise den Präraphaelitenbund wie eine Verschwörung gegen die britischen Kunsttraditionen, und der Sturm beruhigte sich erst, als Ruskin mit seinem ganzen Ansehen für die jungen Künstler eintrat. Seine Prophezeiung, von ihnen werde eine Erneuerung der englischen Malerei ausgehen, hat das Urteil der Kunstgeschichte bestätigt. Der Präraphaelismus hat das ganze englische Kunstleben der letzten fünfzig Jahre durchdrungen und es zu reicher Entfaltung gebracht.

D. G. Rossetti war nicht der ausschließliche Urheber dieser Bewegung, aber sicher ihr genialster und impulsivster Vertreter. Er trug den Geist seiner Kunst zugleich

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