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über Recht und Unrecht abzusprechen: so erdichtet er sich die Akten da, wo sie fehlen, gern nach seinen eignen Neigungen, damit er die verdammen kann, denen er nicht gewogen ist. In der That liegt der Grund, weswegen die Rechtsurtheile verschiedener Menschen oft so verschieden ausfallen, noch mehr in ihren verschiedenen Vorstellungen von den Thatso chen, als in ihren verschiedenen Rechtsgrundsäget. Denn der wahre Begriff von Recht liegt in em Herzen eines jeden verborgen, und wen Eystemsicht nicht verwirrt und hartnäckig gemacht hat, wirdsehr bald die Gründe des gemeinen moralischen Urheils,das oft richtiger ausfällt als das gelehrte, fiiden.

Wir wissen alle, wie geneigt wir sin, über Privatprocesse zu entscheiden und die bügerlichen Richter zu meistern, ohne daß uns je dir Akten zu Gesicht gekommen sind, da die lehteret doch zur Formirung eines richtigen Urtheils unenbehrlich ge hören. Indessen trifft man doch in Utheilen dieser Art noch mehr Bescheidenheit an, as in solchen, welche über öffentliche politische gelegenheiten, über Krieg und Frieden, und über Personen welche eine öffentliche Rolle spielen, gefällt werden. Da es bei Rechtsurtheilen nur auf Hondlungen, nicht auf Gesinnungen ankömmt; fo' müßte man freilich über öffentliche Handlungen eher urtheilen können als über Privathandlungen, wenn nur auch dort

nicht so viele verdeckte Rollen gespielt würden, Dieses geheime Spiel, welches fast hinter allen öf fentlichen Verhandlungen betrieben wird, und oft mit größeren Kräften wirkt, als was öffentlich preis gegeben wird, macht die Urtheile über das Recht und Unrecht öffentlicher politischer Thatsachen ungemein unsicher, besonders zu der Zeit, wo sie vorgehen. Gemeiniglich sind die Akten erst nach vielen Jahren vollständig zusammen zu bringen. Und wie schwer ist es dann nicht, ihre Wahrheit und Ächtheit zu prüfen? Ein Umstand, ́ welcher auch diejenigen Großen, die eben nicht gleichgültig gegen ihren Nachruhm waren, verleitet hat, die ungerechtesten Dinge mit Dreuftigkeit zu unterneh men, in der Hoffnung, daß ihre Ungerechtigkeiten auf immer ungewiß bleiben, und nicht ohne Echein der Gerechtigkeit seyn würden.

Der Einfluß falscher Rechtsgrundsätze ist nie wirksamer, als da, wo Leidenschaften antreiben, · das Recht zu finden, was ihnen gemäß ist. Es giebt insonderheit zwei dergleichen Principien, wels che das Urtheil über Recht und Unrecht verkehren, und den Leidenschaften der Richter mit dem Schein des Rechts ungemein schmeicheln. In dem einen erhebt man das Nüzliche zum Kennzeichen des Rechts;' es heißt: Was nüßlich ist, ist recht; oder: Ich habe ein Recht, das Nühliche, bes

sonders das Gemeinnüßliche zu thun. Ja dem andern wird das Gute oder Pflichtmäßige überhaupt als der allgemeine Gegenstand des Rechts eines Menschen vorgestellt. Man müßte es ause drücken: Ich habe auf die pflichtmäßigen Handlungen der andern ein Recht. Wer also seine Pflicht nicht thut, verleht mein Recht, oder beleidigt mich, und ich kann ihn zwingen.

Beide Säte verrathen schon dadurch ihre Falschheit, daß man sie nur für sich und seine Par tei, niemals aber für seine Gegner in der Praxis gelten lassen will. Denn jeder würde über Bera lehung seiner Freiheit und über Ungerechtigkeit schreien, wenn man ihn zwingen wollte, die Land. straßen auf seine Kosten zu bauen, und den zwans zigsten Theil seines Vermögens den Armen zu ge ben, wo ihn kein Vertrag zu beiden verbindet, so gemeinnützig auch das erste, und so pflichtmäßig auch das zweite seyn möchte, Ihr Einfluß auf die Bestimmung der Rechtsurtheile ist indessen außere ordentlich groß, und verdient hier genaue Aufmerks samkeit, da es insbesondere in unsern Tagen bei den mancherlei geschehenen oder noch zu befürchtens den Staatserschütterungen üblich geworden ist, über politische Gesinnungen und. Handlungen nach denselben zu urtheilen. Ich will daher den weiter ren Einfluß dieser Principien jest nicht erwähnen,

sondern mich hier bloß auf die Berichtigung derjen nigen Urtheile einschränken, welche die Gerechtig keit der politischen Gesinnungen und Handlungen der Bürger, und die Grundfäße des Staats betrefa fen, nach welchen dieser jene behandelt.

Ich sehe hier als allgemein zugestanden vors aus, daß den Staat nur die Verlegung des Rechts zum Zwange gegen seine Bürger und ges gen Fremde berechtigen könne, daß er kein Recht habe, das unkluge oder auch unfittliche Betragen anderer Menschen zu bestrafen, wenn dadurch keis nes seiner Rechte, oder der Rechte derer, die ec schützen soll, verlegt wird. Diesem gemäß behaups te ich nun:

1) Der Staat hat, nach wahren Rechtss grundsägen, nie ein Recht, einen audern wegen seiner bloßen politischen spekula, tiven Meinungen und deren Äußerungen zu bestrafen, oder auf irgend eine Art Gewalt gegen ihn zu brauchen, Denn es, kann durch eine bloße spekulative Meinung, welche jederzeit auf Behauptung eines allgemeinen Sages, und nicht auf dessen Ausführung gerichtet ist, nie das Recht eines andern verlegt werden. Die geri sezmäßige Freiheit anderer ins Meinen und Hans deln, wird dadurch nicht im Mindesten angetastet. Ich kann in einer Monarchie der Meinung. seyn,

daß die Demokratie eine beffere Regierungsform fen, und umgekehrt; ich kann meine Meinung mit ihren Gründen mittheilen; ich kann behaupten, daß alle Regierungsverfassungen in Europa nách zwei Jahren oder nach hundert Jahren monarchisch oder aristokratisch oder demokratisch seyn werden. Wessen Recht verlege ich dadurch? Wer das Princip des Nüglichen zum Rechtsprincip erhebt, wird schon Bedenken finden müssen, den Satz in seiner Allgemeinheit zuzugeben. Denn, wird er sagen, könnte nicht die Ausbreitung von dergleichen Mei. nungen dem Staate schädlich werden? Ist nicht zu fürchten, daß die Spekulation dereinst in Hands lung übergehen werde? Ist dieses nicht besonders dazu fürchten, wo jedermann schon unruhig ist, und im Begriffe steht in Handlung auszubrechen ? So ist der Willkühr freye Bahn gemacht." Denn wenn das Recht ist, was dieses Princip so heißt; so verpflichte ich mich, für jede Meinung oder Handlung, selbst für die beste, einen Rechtsgrund zur Bestrafung derselben zu finden. Denn von welcher Meinung oder Handlung läßt sich wohl die Möglichkeit nicht denken, daß sie dereinst eine mir nachtheilige Wirkung veranlassen werde? Und ist's nicht so der Willkühr vollkommen frei gestellt, welche Meinung fie bestrafen will? Auch kann es wohl in gewissen Fällen der Pflicht der Behutsama

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