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führen uns aber darauf, daß wir vieles aus einem' gemeinschaftlichen innern Prinzip herleiten müs• fen. Dahin gehört besonders die standhafte Nachs ahmung der alten Kunst, zu der man nach allen mistungenen Versuchen immer wieder zurüc kehrte. Jenes fsonderbare Verhältniß der Theo rie zur Praxis. Ferner der schneidende Kontrast der höhern und niedern Kunst. Ferner das totale Übergewicht des Charakteristis schen Indiviuellen und Interessanten in der ganzen Masse der modernen Poesie, vorzüglich aber in den spätern Zeitaltern. Endlich das raftlose uner säitliche Streben nach dem Neuen, Piquanten und Frappanten, bei dem dennoch die Echnficht unbefriedigt bleibt.

Wenn die nazionellen Theile der modernen Poesie, aus ihrem Zusammenhange geriffen, und als einzelne für sich bestehende Ganze betrachtet werden, so find sie unerklärlich. Sie bekommen erst durcheinander Haltung und Bedeutung. Je aufs merksamer man aber die ganze Masse der modernen Pocfie selbst betrachtet, je mehr erscheint auch sie als das bloße Stück eines Ganzen. Die Einheit, weldje so viele gemeinsamie Eigenschaften zu einem Ganzen verknüpft, ist in der Masse ihrer Geschichte nicht sogleich sichtbar. Wir müssen ihre Einheit also fogar jenseits ihrer Gränzen aufsucher, und fie felbft giebt uns einen Wink, wohin_wir unfern Weg richten sollen. Die gemeinsamen Züge, welche Epuren innern Zusammenhanges zu seyn scheinen, sind feltner Eigenschaften, als Bestre bungen und Verhältnisse. Die Gleichheit einiger vermehrt sich, je mehr wir uns von dem jeßigen Zeitalter rückwärts entfernen; die einiger andern, je mehr wir uns demselben nähern. Wir müssen also nach einer doppelten Richtung nach ihrer Ein: heit forschen; rückwärts nach dem ersten Ursprun ge ihrer Entstehung und Entwicklung; vorwärts nach dem letzten Ziele ihrer Fortschreitung. Bielleicht gelingt es uns auf diesem Wege, ihre Ge

schichte vollständig zu erklären und nicht nur den Grund, sondern auch den Zweck ihres Charakters. befriedigend zu deduziren.«

Es sind zwei Naturen im Menschen, die eine welche bildet, und die andre, welche die Bildung modifizirt, befördert und hemmet. Mit dem Ans fange der Existenz fängt sogleich der Kampf des Menschen mit dem Schicksale an. Die Menschheit ist eine zweideutige Mischung von Gottheit und Thierheit, und diese Vermischung veranlaßt eben die unauflöslichen Widersprüche. Vieles was der Mensch thut, gehört ihm eigentlich nicht; aber dennoch muß die bildende Kraft frey seyn. In dem gegenseitigen Einflusse muß eine von beiden Kräften die wirkende, die andre die rückwirkende seyn.

»Entweder die Freiheit oder die Natur mug der menschlichen Bildung den ersten bestimmten Ans stoß geben, und dadurch die Richtung des Weges, das Gefeß der Progression, und das endliche Ziel der ganzen Laufbahn determiniren; es mag nun pon der Entwicklung der gesammten Menschheit oder eines einzelnen wesentlichen Bestandtheils derfelben die Rede seyn. Im ersten Falle kann die Bil dung eine natürliche, im letzten eine künstliche heißen. In jener ist der erste ursprüngliche Quell der Thätigkeit ein unbestimmtes Verlangen; in dies fer ein bestimmter Zweck. Dort ist der Verstand auch bei der größten Ausbildung höchstens nur der Hardlanger und Dolmetscher der Neigung; der ges fammte zusammengesetzte Trieb aber der unumschränk te Gesezgeber und Führer der Bildung. Hier ist die bewegende, ausübende Kraft zwar auch der Trieb; die lenkende, geseßgebende Macht hin. gegen der Verstand: gleichsam ein oberstes lene kendes Prinzipium, welches die blinde Kraft leitet und führt, ihre Richtung determinirt, und nach Willkühr die einzelnen Theile trennt und vers knüpft. «<

Alle menschliche Bildung nimmt von der Nas tur ihren Anfang, die Praxis ist vor der Theorie

da. Nur auf eine natürliche Bildung kann eine künstliche folgen, und zwar nur auf eine verun. glüære natübche Bildung.

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» Echon in den frühesten Zeitaltern der Euro'päischen Bildung finden sich unverkennbare Spåren des künstlichen Ursprungs der modernen Poesie. Die Kraft, dar Etoff war zwar durch Natur gege ben: das lenkende Prinzip der ästhetischen Bildung war aber nicht der Trieb, sondern gewisse dirigis rende Begriffe. Das kolossalische Werk des Dante, dieses erhabene Phänomen in der trüben Nacht jenes eisernen Zeitalters, ist mit der Phans tasterei der Romantischen Diatung ein Dokument für den künstlichen Charakter der ältesten modernen Po sie. Der Reim telbst scheint ein Kennzeichen diefer ursprünglichen Kürstlichkeit unserer ästhetischen Bildung.«

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Diese Epuren der Künstlichkeit sind freilich_nur noch geringe, im Vergleich gegen die spätere Zeit. Dieser Keim mußte erst Zeit haben zu wachsen und fich auszubreiten, um sich dem Auge recht auschau, lich darzustellen.

Späterhin trat die Theorie auf, und kündigte sich als gefesgebendes Prinzip der modernen Bildung an; als solmes ward sie auch allgemein anerkannt. Sie Fonte aber nie mit sich selber einig werden; bis dahin müssen die Gränzen des Verstandes und des Gefühls im Gebiete der Kunst von beiden Seiten beständig überschritten werden.

»Die emfenige Theorie wird sich leicht noch größere Rechte anmaßen, als selbst der allgemeingültigen zukommen würden. Der entartete Geschmack hin gegen wird der Wissenschaft feine eigne verkehrte Richtung mittheilen, statt daß er von ihr eine bessere empfangen follte. Stumpfe oder niedrige Gefühle, verworrne oder schiefe Urtheile, lückenhafte oder ge meine Anschauungen werden nicht nur eine Menge einzelner unrichtiger Begriffe und Grundfäße erzeu gen, sondern auch grundichiefe Richtungen der Uns tersuchung, ganz verkehrte Grundgeseze veranlassen.

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Daher der zwiefache Charakter der modernen The orie, welcher das unläugbarste Resultat ihrer ganzen Geschichte ist. Sie ist nemlich theils ein treuer Ab, druck des modernen Geschmacks, der abgezogene Begriff der verkehrten Praxis, die Regel der Bar barei; theils das verdienstvolle Streben nach einer allgemeingültigen Wissenschaft. «

Zuerst schloß sich die Kunst an eine gegebene Mischung, man ahmte standhaft und allgemein das Antike nach. Alle mißverstandenen Regeln be ruhten anfangs auf der Auktorität der Alten.

Man sah den Irrthum ein und überließ sich nun blindlings andern Jerthümern, da man einmal den ersten begangen hatte. Die Nazionalcharaktere vermischten sich, alle ahmten sich nach; und so ents stand am Ende jene Anarchie im Geichmacke. Jeder Künstler ist nun ein isolirter Egoist in der Mitte feines Zeitalters. Es glebt so viele individuelle Mas nieren als originelle Künstler. Zu manierister Eine feitigkeit gefellte sich die reichste Vielseitigkeit; denn je weiter man von der reinen Wahrheit entfernt ist, je mehr einseitige Ansichten derselben giebt es.

Noch unglücklicher aber waren jene Versuche, die reinen Konstarten mit einander zu vermischen; dadurch wurde die Natur gewaltsam zerrüttet und ihre Einfachheit verzälscht. Ob sich aber durch diese künstlichen Zusammenseßungen neue Arten entdecken Lassen, ist wenigstens äußerst ungewiß.

»Nichts kann die Künstlid,kat der modernen ästhetischen Bildung besser erläutern und bestätigen, als das große Übergewicht des Individuellen, Charakteristischen und Philosophischen in der ganzen Masse der modernen Poesie. Die vier. len und trefflichen Kunstwerke, deren Zweck ein phío losophisches Interesse ist, bilden nicht etwa bloß eine unbedeutende Nebenart der schönen Poesie, sondern eine ganz eigne große Hauptgattung, welche fich wieder in zwei Unterarten spaltet.«

«Es giebt Erkenntnisse, welche durch historische Nachahmung wie durch intellektuelle Bezeichnung

durchaus nicht mitgetheilt, welche nur dargestellt werden können; individuelle idealische Anschauun: gen, als Beispiele und Belege zu Begriffen und Ideen. Auf der andern Seite giebt es auch Kunstwerke, idealische Darstellungen, welche offenbar feie nen andern Zweck haben, als Erkenntniß. Ich nenne die idealische Poesie, deren Ziel das philoso phisch Interessante ist, didaktische Poesie. Werke, deren Stoff didaktisch, deren Zweck aber ästhetisch, oder Werke, deren Stoff und Zweck di daktisch, deren äußere Form aber poetisch ist, sollte man durchaus nicht so benennen: denn nie kann die individuelle Beschaffenheit des Stoffs ein hine reichendes Prinzip zu einer gültigen ästhetischen Klass fifikation feyn.

Der große Umfang das Charakteristischen_in der ganzen ästhetischen Bildung des Modernen offens bart sich auch in andern Künsten. Giebt es nicht eine charakteristische Mahlerei, deren Interesse weder ästhetisch, noch historisch, sondern rein phy fiognomisch, also philosophisch; deren Behands fung aber nicht historisch, sondern idealisch ist? Selbst in der Musik hat die Charakteristik indie vidueller Objekte ganz wider die Natur dieser Kunst überhand genommen. Auch in der Schauspiel kunst herrscht das Charakteristische unumschränkt. Ein mimischer Virtuose muß an Organisation und Geist gleichsam ein physischer und intellektueller Pro teus senn, um sich selbst in jed» Manier und jeden Charakter, bis auf die individuellsten Züge metas morphosiren können.

Was war natürlicher, als daß das lenkende Prinzipium das gejes ebende, daß das philosophisd Interessante lester Zweck der Poesie ward! Bei höherer intellektueller Bildung wurde alio natürlich das Ziel der modernen Poesie originelle und ins teressante Individualität.

Nur durch eine idealije Stellung wird die Charakteristik eines Jodividuums zum philoso phischen Kunstwerk. Durch diese Anordnung muß

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