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er in seiner beredten Declamation gegen Künste und Wissens schaften die Frage aufwarf: ob und wie viel diese zum Wohl der Menschheit beigetragen hätten oder beitrügen?

Nicht also uneingeschränkt auf Wohlseyn unsres Geschlechts oder auch nur einer Nation verbreitet sich der Glanz des Worts gülden, sondern nur auf das, was dazu ein Werkzeug seyn sollte, auf Künste und Wissenschaften. Wie hoch nun standen diese in dem genannten Zeitalter? Sind ihre Pröductionen unübertreflich ewige Muster in jeder Art? Stehen sie åltern Zeitaltern der Griechen, der Römer; der Italianer, Engländer u. f. vor? Sind fie seitdem übertroffen worden? oder bleiben sie, Corneille und Racine, Moliere und la Fontaine, Boileau, Fontenelle, Addison, Swift, Gay, Pope u. f. stehende Muster für alle künftige Zeiten? Ein Fahrhundert weiter gerückt, können wir, diese Fragen reiner und sichrer beantworten, als man sie in den Zeiten Ludwigs und der Anna felbft durch Streitigkeiten und Bücherkriege beantworten konnte.

Wåren sie aber auch wichtig, diese Fragen? Mich dünkt es. Denn giebt es nicht noch auf der Einen Seite einen Hofgeschmack (de la vieille cour), der über das Zeitalter Ludwigs nichts Erhabneres, über Addison und Pope nichts Kunstmäßigeres kennet? Auf der andern Seite, wèm find die neueren Horden unbekannt, die diese einst so berühmten' Werke des Geschmacks für wenig mehr als für Knabenspiele und abgekommene Lanzübungen achten? Stillnachdenkend erhebe die Göttinn hier ihren Arm und messe und wåge. Jede verlebte Zeit, jede Nation, alle gelten ihr gleich; Athen und Rom, Paris, Twikenham und Libur. Ihre Greife schreiten über Völker, Lånder und Zeiten.

Gäbe es aber auch einen Maasstab des Wahren, Schö nen, Guten für alle Völker, für alle Zeiten? Daran laffet uns nie zweifeln. Was blos auf Nationalgeschmack, auf

sogenannt • patriotischer Partheilichkeit, auf Coquetterie und eigensinnigem Humor, oder gar auf Wahnsinn, Frechs heit und Ueppigkeit, beruhet, fliegt auf der großen Waage, die über allen Völkern schwebt, bald aufwärts. An jes nem Lauterungsfeuer, das Zeiten nach Zeiten immer fei ner durchglüht, hålt es bald die Probe nicht aus und vers dampfet.

Kaum giebt es etwas Unterrichtenderes, kaum aber auch etwas Schwereres als ein solches Gericht über die Todten, und zwar über die größesten Geister der Vorwelt. Den Prunk ihrer Zeit abgelegt, Geist vor dem Geist stehen sie da. Die Tuba eines leeren Rufs ist verhallet: die entfernte Echo murmelt vielleicht etwas ganz anderes, als was ihre Nähe jauchze. Vollends die Irrwische, die Sternschnuppen? Ein Klümpchen Schlamm liegen, sie am Boden.

Aber die ewgen Gedanken bleiben; mit den Jahrhunderten entwölken sie sich, immer heller aufglänzend. Auch die wes fentlichen Formen der Künfte des Schönen dauren; fast nur im Bedeutungslosen oder in Zusätzen der Unformåndern fich ihre Gestalten. Ungeheuerviele Namen trågt nach jeuer schdnen Fabel Ariosts a) der muntergeschäftige Greis, die Zeit, in den Strom der Vergessenheit, um welchen mit großem Geschrei unaufhörlich Raben, Elstern und gierige Geyer schwårs men. Hie und da erhaschen sie einen hingeworfenen Namen mit Klaue oder Schnabel, lassen ihn aber bald wieder sinken; zwei heilige, weisse Schwäne wachen über wenige große Nas men, fangen sie auf und tragen sie zum Tempel der Uns fterblichkeit hinüber.

a) Orlando furioso Canto XXXV.

I,

Geschichte.

Unter Ludwig 14. existirte sie nicht. Hiftorice graphen befoldete er; weise aber unterließen sie es, ihr Amt zu verwalten. Er nahm sie mit zu Felde, seine Thaten zu sehen; Boileau stieß laut in die Trommete:,,Großer König, höre auf zu siegen; oder ich höre auf zu schreiben“ (an dergleichen Lob war Lud, wigs Ohr gewöhnt); der Satyren und Odenmacher schrieb aber keine Geschichte. Racine, der jarte, blöde Racine, fiel fast in Ohnmacht, als er in Ger genwart des Königs und der Maintenon den Namen Scarron als eines Poffenreißers unvorsichtig genanut hatte; und als der König in einem von ihm namenlos aufgeschten, der Maintenon anvertrauten Memorial über die damalige Noth Frankreichs, ihn höchst un. gnådig erkannte, gråmte sich der arme Dichter zu Tode. Racine also schrieb keine Geschichte, Pater Daniel, ein Jesuit, verstand das Ding besser. In seiner Geschichte von Frankreich machte er von der Fa= milie d'Aubigné, zu der sich die Maintenon zählte, eine so glänzende Erwähnung, daß sein Buch bei den Höflingen und durch sie weiterhin schnellen Lauf gewann. Er ward königlicher Historiograph und genoß seine Pens fion schweigend.

Wie kann man auch nur denken, daß ein Monarch

wie Ludwig bei seinen Lebzeiten einen Geschichtschreis ber habe? Ist die erste Pflicht dieses, Wahrheit zu sager, Falsches nicht zu sagen, mit kühner Hand Glanz und Schimmer hinweg zu thun, wo diese die Begebene heiten entstellen, Charaktere verfälschen; wie war ein Geschichtschreiber an einem Hofe, unter einer Regies rung denkbar, die ganz Schimmer, Schimmer von so betäubender, blendender Kraft war, daß er die Welt um sich her zu einer Zaubert;öle machte, in wels cher allenthalben nur der Name des großen Monarchen glänzte. Das einzige Wort Ludwigs: l'Etat? c'est moi! verbot unter seinen Augen alle Geschichte.

Und wie fernhin reichten diese Augen! Er, der die Holländer einiger öffentlichen Spöttereien wegen mit einer fürchterlichen Kriegsmacht anfiel, Er, der Bussi- Rabutin eines ungezognen Couplets wegen verbannte, und des Telemachs wegen Fenelons uns versöhnlicher Feind war; ein Machthaber, wie Er, litt keine Geschichte.

Keine andre wenigstens, als die ihm aus seinen eiguen, auf seine eigne Kosten dargebracht ward, eine metallische goldne; aus Denkmünzen, die er auf sich hatte prågen lassen, mit Aufschriften, dazu er eine eigne Akademie bestellt hatte; eine vollwichtig-goldne Geschichte a).

Desto hamischer neckten ihn dafür seine Feinde; desto lauter schrien seine Verfolgten. Von beiden

a) Histoire metallique de Lou.s XIV.

Seiten war also keine Geschichte zu erwarten, die in gemäßigtem Licht einen ruhigen Anblick fodert.

Aber die Scenen rücken vorbei; die Zeiten ändern. » sich und erscheinen in ihren Folgen; dann erst beginnt eine vergleichende Geschichte. Verzweifle niemand daran, daß wir oder unsre Nachkommen die großen Begebenheiten unsrer Zeit nicht auch als Geschichte solle ten kennen lernen. Auch sie werden in die Entfernung treten, in der allein sie ein Maas mit reinem Anblick gewähren. Was im Anfang des achtzehnten Jahrs hunderts Ludwig, Wilhelm, Eugen, Marl borough und andre, waren in Mitte des Jahrhun, derts andre Helden; alle haben ihr Maas gefunden. Die schädlichste Krankheit der Geschichte ist ein epides mischer Zeit- und Nationalwahnsinn, zu dem in allen Zeitaltern die schwache Menschheit geneigt ist. Nichts dünkt uns wichtiger als die Gegenwart; nichts feltner und größer als was Wir erleben. Treten nun zu diesem engen Gefühl noch aufblühender National, ftolz, alte Vorurtheile von mancherlei Art, Verachtung andrer Völker und Zeiten, von außen anmaaßende Unternehmungen, Erobrungen, Siege, vor Allem endlich jene behagliche oder vornehme Selbstge fälligkeit hinzu, die sich selbst als den Mittelpunkt der Welt auf dem Gipfel der Vollkommenheit wähnet. und nach dieser Vorausseßung Alles beduget: so kommt in dies ganze Chinesische Gemählde eine Verzos genheit der Begebenheiten und Figuren, die bei ange

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