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Aber auch die Kirchenmusik ungerechnet, erhebt sich jede wahre Musik ins Reich der Unsichtbaren, der Seelen. Der neuere böse Geschmack, eine Ros manze hindurch zu trommeln, und in ihr Alles zu schildern, zu kochen, zu mahlen, ist eben so niedrig als widrig; errdthe jeder Künstler, der so wortspies lerisch seine Kunst verschwendet. Lonkünstler, die dergleichen componiren, verführen die Dichter, wie die Dichter sie verführten.

Welch ein andrer Geist war Gluck! selbst wenn er für die Oper componirte, also das Sichtbare, das Spiel, und zwar selbst in Frankreich, wo auf Spiel zuleht doch Alles ankam, begleiten mußte. Hört seine Iphigenia in Tauris, auch eine heilige Musik! Vom ersten Gewitter der Duverture an bis zum less ten Hall des Chores: nach Griechenland!" ächzet und lahmt keine Note schildernd. In den Gefäns gen, die Glück aus Klopstock componirte, schwebet er allenthalben auf Fittigen der Empfindung des Dichters.

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Je mehr die Quelle des Gefühls vertrocknet, desto glänzender mahlen und schildern wir auch auf der Lyra.

Zu unsrer Zeit, da das Oratorium beinahe ganz schläft, oder auch zu Opern - Arien gemißbraucht wird, ruft jedem lyrischen Dichter und Tonkünstler die Mus se zu, die einst einem edlen Italiänischen Dichter zus

Schlaf, Tändelei und Trägheit, ach sie haben
Aus unsrer Welt verbannet jede Tugend.
Verscheucht von ihrer Laufbahn ist die Menschheit
In Bauden der Gewohnheit vestgebunden.

Und so erlosch dann jeder reine Lichtstral
Des Himmels, der in Glanz das Leben aufhellt;
Mit Fingern zeiget man auf irgend Jemand,
Der aus Empfindung reine Stròme leitet.

,,Was ist dann die Empfindung? Was die Myrthe
Des bettelnden Gefühles? “ Also pralet,
Auf Ruhm und Wort und Geld erpicht, der Pöbel.
Dich also werden Wenige begleiten,

Dich anmuthsreiche, zarte, reine Seele!

Um desto mehr bitt' ich dich, holdes Wesen,
Verfolge Deine Bahn, groß

wenn auch einsam.

II.

Das Drama.

Jahrhunderte vor der Geburt der Italiänischen und Französischen Oper gab es ein Volk, das dem Melodrama eine hohe Gestalt gegeben hatte, die Gries chen. Ihr Heldenspiel (denn warum sollten wirs Trauerspiel nennen, da die griechische Tragödie nicht eben traurig ausgehen durfte?) ihr theatralisches Heldenspiel war ganz Melodrama. Blos aus diesem Grundsaß läßt sich wie sein Ursprung, so seine Einrichtung und Wirkung erklären.

Aus Freudengesången und Freudentänzen an Festen des Bacchus genommen, blieb nämlich der Chor seine Grundstüße. Zwei, drei handelnde Personen tras ten dazwischen warum nicht mehr? In jeder Ges sellschaft fühlen wir, daß zwei, drei Personen, gleichs sam natürlich, in eine Consonanz oder gar in einen Accord treten, mit allen Variationen, die jede Ums seßung des Gespräches giebt. Mehrere werden nur Nebentöne, gar Dissonanzen; ein wildes Gewirr von Stimmen endlich stört und ermüdet. So bei dem griechischen Drama.

Ein hoher Einklang herrscht

durch alle Gänge der Begebenheit oder Leidenschaft über dem Grundton des Chors in wenigen aber trefo lich zusammengestellten Charakteren. Wohl der Sees le, die dies geistige Melodrama empfindet.

Ein Grieche, der in unser Trauerspiel tråte, an die musikalische Stimme des Seinigen gewöhnt, müßte ein trauriges Spiel in ihm finden.

"Wie wortreich - stumm, würde er sagen, wie dumpf-und tonlos! Bin ich in ein geschmücktes Grab getreten? Ihr schreit, und feufzet und poltert! bewegt die Ars me, strengt die Gesichtszüge an, raisonnirt, deklamis ret; wird dann Eure Stimme und Empfindung nie Gesang? vermißt ihr nie die Stärke dieses damoni schen Ausdrucks? Laden euch Eure Sylbenmaasse, ladet Euer Jambus euch nie dann ein zu Accenten der wahren. Göttersprache ?

,,In Athen wars anders. Unser Theater erklang vom Jamb und Trochåns, vom Choriamb und stürs menden Anapåften. Versuchts und leset sie laut. Ob unsre Aussprache, unsre Declamation, Action. und Musik Euch gleich verlohren sind; Eure Kammer wird Euch zu eng', Euer Haus voll schallender Lufts genien werden, indem ihr sie nur leset a). Denkt euch dies bestimmt fortgehende, immer wechselnde Melos, unterstüßt jezt von der Flöte, jezt von ans dern Instrumenten, wie es Ecene und Leidenschaft foders

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Wer die Griechen in ihrer Sprache nicht lesen kann, lese sich
Bochens Uebersehung des Euripides laut vor.
Ein erster
kühner Versuch, dem andre folgen mögen. In ihm wird ein
Geist laut und lebendig, an den uns eine schleichende Profes
Nebersehung kaum erinnert.

foderten; hört es im Geist, und verftummt über eure verstummte Bühne. "

„Und diesem hohen Longefolge, was legten wir ihm unter? Etwa nur Liebesseufzer? Galanteries phrasen? Tändelei mit der Empfindung, der Spras che, dem Gedanken? Reimspåße? Nichts weniger. Einen großen Kampf menschlicher Leidenschaften unter der höchsten Macht, dem Willen des Schicksals. Einen Knoten der Begebenheit, der nur durch Charaktere und Gesinnungen, durch Handlung aufgelößt werden konnte. Der Gang der Löne war hierinn unser lebendiges Vorbild. Wie diese sich verschlingen, damit sie sich froh entwickeln, indem kaum etwas ermüdender ist, als eine einförmige Mu, fit, und nichts verwirrender, als eine verwirrte Tons kunst: so verschlang, so ldsete sich unser Drama, der Seele melodisch. Aus Dissonanzen stieg die höhere Consonanz mit jeder geschouten Annäherung feierlich, schauderlich, langsam, prächtig hervor; und schloß mit einer Beruhigung, die nicht etwa dumpf sättigte, sondern einen Fortklang dieser Töne zu hd, ren einlud. Daher, daß wir unsre Fabelwelt so durs stig erschöpften, jede große Begebenheit in ihre Fols gen verfolgten, und nichts unvollendet liessen: denn eine unterbrochne, matt-geendete Musik ist ein plus tonisches Kunstwerk."

„Ihr fangt an und endet, wo es euch beliebt; wir endeten, wo geendet werden mußte, und fiengen von Herders Werke 1, schön. Kit, u. Kunst. XIL

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