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Seele recitire, wohl gar mit Gebehrden begleite? Sobald Modulation die Sprache über ein gemeines Gezisch emporhebt, giebt sie ihr gleichsam den ganzen geistigen und körperlichen Ausdruck. In ihm geniess sen wir eine Art Fülle, Vollendung.

Die Erste der neueren Sprachen, die sich zu dies sem musikalischen Ausdruk emporschwang, war die Italiänische; lange vorher, ehe Opern da waren, war in ihr der Geist der Oper. Dante, Petrarca, Ariosto, Tasso, Guarini fangen, indem sie schries ben; wer sie lieset, singt mit selbsterfundner Melos die, so eintönig diese auch seyn möge, ihre Modula tionen nach. Aus dem Madrigal, dem Liede, der Stanze, entstand die Italiänische Oper.

Natürlich hielt sie sich an die Gegenstände, die zur Musik die fähigsten waren, an Scenen der Liebe und Freude. Daher die Verzierungen, die man der Oper sogleich in ihrer Geburt beifügte; Scenen der schönen, wohl auch romantische wilden, Natur, Chöre, Tanze. Für alle Sinne wollte man ein Arkadien schaffen; in gemeinschaftlicher Freude sollte Auge und Ohr daran Theil nehmen.

Genuß mit andern erhebt und begeistert; daher die Chöre. Auf dem Gipfel der Begeisterung ist man trunken, daher die Tänze. Das entzückte Auge will das Schönste jeder Art sehen; daher die Decoratios nen in Kleidungen, im Theater. Daher die Hire

ten-, Götter, Wunder- und Feenwelt! die der Oper einheimisch wurden.

Unnöthiger Weise hat man sich über dies Wuns derbare der Oper gequilt, wie Menschen an der. gleichen Träumen der Un- oder Uebernatur Geschmack finden können. Sind wir im wirklichen Traum nicht eben sowohl in einer Zauberwelt? und wie wahr sind uns die Träume! Darfs also keine Kunst geben, die uns mit den schönsten Träumen aufs schönste auch wachend vergnüge? Einmal in eine Welt gefeßt, in der Alles singt, Alles tanzet, entspreche auch die Welt ringsum dieser Gemüthsart; sie bezaubre.

Nach leisen, sodann wilden und verworrenen Ans fången in Italien trat die Oper in Frankreich auf. Hier fand sie eine wenig accentuirte, flüchtige, fast unmusikalische Sprache und einen verwöhnten Geschmack. Diesem bequemte sie sich; dagegen aber brachte der raftlos, muntre, raisonnirende Geist der Nation in das, was sonst ein Chaos der Töne und Scenen gewesen war, Anstand und Ordnung. Hinter vers wirrten, gemeinen Stücken der älteren Französischen Operndichter trat der befcheidne Quinault auf; 'Er in seiner Art ein so großer Ordner des lyrischen Theaters, als Corneille und Racine es für die Tragödie seyn mochten. Quinault hat so starke und so süße Stellen, als jene tragische Dichter in ihrer Gattung; dazu in einer Sprache, die der Musik mehr widerstand, als der tragischen Rede. In Recitativ und Chd

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ren hat er das Französische Sentiment zur Musik gleichsam organisirt. Klarheit der Exposition, Ordnung, Folge der Scenen, Anstand sind in seinen Stücken, wie bei jenen Dichtern. Daß er Sujets dieser Gattung wählte, daß er seine Flöte, zur Pos saune des Ruhms, seine Lyra zur Galanterie stimmen mußte, hatte er auch mit jenen Dichtern gemein; und war nicht seit ihrer Entstehung in Italien die Oper eine Puppe des Divertissements an Vermählung und andern Festen gewesen? Wie anders, als daß, da fie in Frankreich eintrat, sie sich in das Element der Französischen Nation und Ludwigs freiwillig tauchte? Um so höher steigt das Verdienst des Dichters, der auch in die flachste Modesprache Gefühl zu bringen wußte.

Jeht find Quinaults Opern Schattenriffe; ein Text ohne Noten. Nichts ist vorübergehender, als Prachtscenen, Galanteriestücke, Feuerwerke, Illuminationen. Nichts vorübergehender als selbst Liebs lingsgauge der Musik. Unser Ohr wird anders ges stimmt mit den Zeiten; Pracht und Galanterie, die Kinder der Mode, wechseln. Das Wahre allein, Verstand und Empfindung dauren. In ihnen sind Quinault, Addison, Metastasio, jeder künftige Metastasio Diener Einer und derselben Engelssprache, ter Sprecherin für aller reinen Menschen - Em pfindungen, der Musik.

Wo 'die Oper jekt stehe, wissen wir; auf dem Kunstgipfel der Tonkunft und Decoration, fast mit Vernachläßigung des Inhalts und der Fabel. Den Operndichter nennet man jeßt kaum; seine Worte, die man auch selten versteht, und die noch seltner des Verstehens werth sind, geben dem Tonkünstler nur Anlaß zu seinen (wie ers nennt) musikalischen Gedanken, dem Decorateur zu seinen Decorationen. Musikalische Gedanken ohne Worte, Decorationen ohne eine verständige Fabel sind freilich sonderbare Dinge; wir denken aber einmal in der Oper reinmusikalisch. Sie ist der Ort,

Où dans un doux enchantement
Le citoyen chagrin oublie

Et la guerre et le Parlement
Et les impots et la patrie,
Et dans l'ivresse du moment

Croit voir le bonheur de sa vie,

Hat der Tonkünstler durch diese Zurückseßung des poetischen Stoffs gewonnen oder verlohren? Für seine Kunst glaubt er gewonnen zu haben; er darf feine Arien drehen und wenden nach Herzenslust;

a) Wo wie vor süßen Zaubereien

Der Bürger seinen Gram verträumet,
Vergisset Krieg und Plackereien,

Und was er selbst an Pflicht versäumet,
Haus, Vaterland und Schurkereien
Des Rechts, Auflagen—ach, er träumet
In einem trunknen Augenblick
Sich seines Lebens — Opernglück,

höchstens paffet er sie der Kehle an, die sie hinwirbelt. Als Tondichter aber, als Sprecher und Wirker der Empfindung hat er gewiß verlohren. Spazieren seine Töne in der Luft, verschlingen sie sich nicht unmittelbar mit Worten und Scenen der Empfindung: so dringen sie nie ans Herz, sie bleiben im Obre. Bearbeitet er einen unwürdigen, gar schändlichen Stoff, muß seine süßen Töne an Laffe= reien, an ein Persiflage alles Großen, Guten und Schönen verschwenden; o wie bedauern wir den Ton. schöpfer! Wie bedauren wir, zauberischer Mozart Dich in deinen cosi fan tutte, Figaro, Don Juan u. f. Die Töne sehen uns in den Himmel, der Anblick der Scenen ins Fegefeuer, wo nicht gar tiefer. Läßt der Tonkünstler sich gar hinreissen, seiner musikalischen Drehbank zu Gefallen, die Empfindungen zu zerstücken, zu kauen und wiederzukauen, zu cadens ziren Unmuth erregt er statt Dank und Entzüks kung in unsrer Seele! Schnüret er endlich seine Kunstmaschine Sängern und Sängerinnen so an die Kehle, daß Held und Heldinn darüber zu Spott wers den, folgt er dem Trödelkram sogenanntweicher Em pfindungen bis zu Scenen ausgelassener Frechheit. wie? hätte er gewonnen? und nicht das Beste, den Zauber seiner Kunst, die höchste Einwirkung aufs menschliche Gemüth verlohren ?

Der Fortgang des Jahrhunderts wird uns auf eis nen Mann führen, der hiesen Trödelkram wortloser

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