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Erhobnem Finger Polyhymnia,
Sie lehren mich die höh're harmonie
Der Weltbegebenheiten. Horch!"

Ich hörte

Welch einen andern als der Leyer Klang,
Als Fldt und Either und Psalterion!

„O Klio,“ sprach ich

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,,Nenne mich nicht Klio, Die Preisende: denn meine Luba gab Ich längst der Fama, die, die Wangen voll Von Athem, Lob verkündet. Meine Mutter War Mneme; a) ihre liebste Schwester hieß Melete; b) und Aide c) war die jüngste, Ihr aller Mutter war Mnemosyne. d) Die Schwestern, die Aidens Abkunft sind, (So sagt der Götterspruch!) sie werden einst Im Ansehn sinken: denn Mnemosyne Mit ihren Töchtern, Mneme meine Mutter Melete und Aide, die drei höchsten Und hehresten der Musen kehren einst Dem bessern menschlichen Geschlecht zurück. Und sie erwarten meine nähern Schwestern, Die Schweigenden; hier Polyhymnia, Die mir der alten Gotteslehre Weisheit; Urania, die mir der Welten Bau, Der Zeiten Ordnung; dört Melpome e, Die Heldenseelen mir als Heldinn zeigt Wir hoffen auf die Kommenden; und ich

a) Bleibendes Andenken.

b) Ueberlegendes Nachdenken. c) Die Sängerin.

d) Gedächtniß, Erinnerung.

(Dies ist mein Amt!) blick in die Gegenwart,
Und horch' aus dem Vergangenen die Zukunft.
Denkwürdiges nur schreib' ich; Spiel und Land,
Thaliens Masken gehen mir vorüber.

Sei, Fremdling, unser Freund, und lern' auch du
Der Weltbegebenheiten Melodie

Erst hören, dann verstehn und lieben!"

Sie

Saß lebend vor mir; Veilchenblau' ihr Kleid,
Dunkelroth ihr Gewand mit blauem Saum,
Ihr Ohr- und Armschmuck helles reines Gold, a)
So saß vor mir die Königinn und schwieg.

Ihr Horchen aus der Fern, ihr stiller Blick
Lief in die Zukunft; was sie zu mir sprach
Und vorverkündet, bleibt im Herzen mir.

Nicht Klio mit der Luba ehr' ich fürder;
Die heiligen Töchter der Mnemosyne,
Melete, Mneme und Aide, sie

Sind meine Musen. Wenn die Menschheit einst
Bom Traum erwacht, und jener schöne Jüngling
Nicht müßig mehr Eidechsen spießet; b) wenn
Er Musenführer, Hirt, der Menschheit Arzt
Und ihr Befreier, seinen Påan singt;

Sind der gesammten Menschheit Musen Sie.

a) In einem bekannten herkulanischen Gemählde ist die Muse der Geschichte so gekleidet.

b) Am. Eingang der Rotonda standen der Schlaf an der Einen, Apollo der Eidechstödter an der andern Seite.

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von der Geschichte. b)

Unter menschlichen Schriften ragt an Würde und Anz sehn die bürgerliche Geschichte hoch hervor. Ihrer Treue nåms lich sind die Beispiele der Vorfahren, der Wechsel der Dinge die Grundvesten bürgerlicher Klugheit, der Menschen Name und Gerücht anvertrauet. Zu ihrer Würde tritt ihre Schwies rigkeit, die eben so groß ist. Denn den Geist in das Vers gangene zurückziehen und ihn gleichsam alt machen, die Bewegungen der Zeiten, die Charaktere der Personen, der Rathschläge Gefahren, der Handlungen (als wären fie Ges wässer) verborgene Leitungen; das Innere äußerer Vorwände, die Geheimnisse der Regierung mit Fleiß zu erfors schen, sie treu und frei zu erzählen, hell endlich vor Augen zu stellen, dazu gehört große Mühe und ein großes Urtheil, insonderheit da alles Alte ungewiß, das neuere mit Gefahr umwunden ist. Daher dann auch dieser Geschichte viel Fehler umherstehn, indem Einige statt Ihrer dürftige, gemeine, sogar unanständige Erzählungen vortragen, Andre Partis cularberichte und Geschwäß darüber eilfertig in ungleichem. Gewebe zusammenflicken, Andre, die Titel der Begebenheis, ten nur durchlaufen; wiederum Andre jede Kleinigkeit, diezur Sache nichts thut, verfolgen; Einige aus har zu gros. Ber Nachsicht gegen ihren eignen With Vieles kühn erdich ten; Andre zwar nicht das Gepräge ihres Geistes, desto mehr aber ihrer Affecten den Begebenheiten eindrücken und zufü gen; ihrer Parthei wohl eingedenk, über die Dinge selbst aber untreue Zeugen. Manche, die sich in der Politik gar 'wohl gefallen, bringen allenthalben Staatsklugheit an, und da sie zu dieser Oftentation Auswege suchen, unterbrechen b) `De augmentis scientiarum L. II. Cap. 5.

sie gar zu leichtsinnig den Faden der Erzälung; Andre schalten lange Reden und Predigten, wohl auch lange Aks tenstücke ein, mit wenigem Urtheil; so daß offenbar, unter allen menschlichen Schriften, nichts seltner ist, als eine ei gentliche gesetzmäßige, vollkommne Geschichte.

Herders Werke z. schön. Lit. u. Kunst. XII,

2.

Denkwürdigkeiten (Memoires.)

Je årmer an Geschichte (im hohen Sinne des Worts) der Anbruch des vergangenen Jahrhunderts war, desto reicher war es in Frankreich und England, zumal im ersten Lande, an sogenannten Denkwürdigkeiten (Memoires.) Was ist in ihnen für unsre Zeit brauchbar? worinn sind sie auch für uns Muster?

Frankreich konnte sich treflicher Memoirs, fast von den Zeiten des wieder in Gang kommenden Schreibens rühmen. Der Mönchschroniken nicht zu gedenken; wer kaun das Leben Ludwigs des Heiligen von Joinville lesen, ohne den gutmüthigen König mit deffen Lebensweise man völlig vertraut wird, zu lieben? Nach Froissard und andern war im 15ten Jahrhundert bereits Philipp de Comines durch seine darstellenden treflichen Denkwürdigkeiten ein Muster dieser Gattung von Schriften für seine Sprache worden. Ludwig den eilften, so wie Karl den kühnen siehet man in ihnen denken, handelu, les ben; er traf in einen Zeitpunkt großer Begebenheis ten, war beiden so scharf kontrastirenden Führern derselben nah, und wägt, naiv erzählend, wie auf der Vernunftwaage ihre Gesinnung, ihr Betragen, ihr Schicksal. Werke solcher Art machen im Stillen auf Jahrhunderte Eindruck; noch jest wird Comines

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