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Wer in keinem Worte fehlet, m. a. 3., dessen Reden sind drittens immer wahr. Er spricht nicht, ohne zu den, ken, und saget nichts anders, als was er denket. Stimmen seine Reden nicht immer mit der eigentlichen und innern Bes schaffenheit der Dinge, von welchen er redet, überein: so stimmen sie doch immer mit den Vorstellungen und Empfin; dungen überein, die er davon hat. Sie sind Zeichen und Bilder von dem, was wirklich in seinem Innern vorgeht. Mie wird er, gleich Kindern, mit bloßen Zeichen spielen, oder gleich dem Betrüger seine Gläubiger mit falscher Münze zu hintergehen suchen; nie, durch Worte, Gesinnungen und Absichten äußern, die er nicht hat; nie sich solcher Einsicht ten und Empfindungen rühmen, von welchen er entblößt ift. Freilich wird er eben deswegen mit entscheidenden Urtheilen, mit Versprechungen, mit Loben und Tadein nicht so vers schwenderisch_wis tausend andere seyn, und oft da schweigen, oder nur wenig sagen, wo andere kaum Worte genug finden können, um ihre Achtung und ihre Verachtung, ihren Beis fall und ihre Bewundrung, oder ihr Mißfallen und ihren Abscheu aufzudrücken; aber was er dann saget, das ist ganz wahr, ist reiner, unverfälschter Abdruck seiner Ges danken und Empfindungen. Er verspricht also freilich seine Freundschaft, seine Hülfe, seinen Schuß, seine Dienste nicht jedermann, der ihn darum bittet oder nicht bitter; aber wenn er dieselben jemanden verspricht, so ist er fest entschlossen und wirklich bereit, ihm das zu leisten, war er ihm versprochen hat. Er überhäuft nicht jedermann in den stärksten Auss drücken mit Höflichkeitsversicherungen, erkläret sich nicht ger gen jedermann zum willigsten Gehorsam und zur tiefsten Uns terwürfigkeit, danket nicht für alles als für unverdiente Gnade; aber die eingeschränktere Achtung, die er gegen ans dere duffert, ist wahre Achtung, die Anerkennung der Vers hältnisse, in welchen er gegen sie stehet, ist ihm Avertens nung wirklicher Pflicht, und sein einfacher Dant, ist Dont

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des Herzens. Sein Lob ist nicht übertrieben, ist oft in s gemäßigten Ausdrücken abgefaßt, daß es in der gewöhnlichen, schwülstigen Sprache der Menschen kaum Lob zu seyn scheint; aber er fühlet den Werth der Sache oder der Person, die er so lobet, wirklich, da vielleicht der andere, der sie weit mehr zu loben vorgiebt, nur mit Worten spielet, oder gar das Gegentheil von demjenigen denket, was er saget. Sein Zadel ist selten strenge, scheint oft kaum Tadel zu seyn, wenn er mit der gewöhnlichen Art zu tadeln verglichen wird; aber er hålt das, was er so tadelt, in der That für tadelnswerth und mifbilligt es aus inniger Ueberzeugung. Ja und nein vertreten bei ihm gemeiniglich die Stelle aller Betheurungen; aber sein Ja ist wirklich Ja, sein Nein wirklich Nein, sein Herz spricht sie zugleich mit seinem Munde aus, und man kann sich auf beide sicherer verlassen, als auf den Eidschwur des Unbedachtsamen. So wie aber feine Rede im gø

meinen Leben wahr ist, so ist es auch sein Gebet, seine Lobr preisung Gottes, sein ganzer Gottesdienst, so weit er sich durch Worte außert. Es find wirklich Ergiessungen seines Herzens; Ausdrücke, Bilder, Wirkungen der kindlichen Ehrfurcht vor Gott, der Liebe zu Gott, der Freude in Gott, des Vertrauens auf Gott, die sein Innerstes durchbringen, der Andacht und Frömmigkeit, die in seinem Herzen leben und herrschen. Er fühlet die Noths wendigkeit der Hülfe und des Beistandes, die er von dem Allmårigen verlangt; empfinder den Werth und die Größe der Wohlthaten, die er_ihm, dem Allgütigen verdanket; freuet sich wirklich der Verhältnisse und Verbindungen mit Gott, deren er sich rühmet; umfasset mit wahrer Liebe die Menschen, für welche er beter; verabscheuet die Sünden, benen er so feierlich entsager; schmachtet mit seiner ganzen Seele nach dem Grade von christlicher Weisheit und Tugend, den er zu erreichen wünschet; ist ganz bereit, und entschloß fen, den Verpflichtungen nachzukommen, die er auf kich

nimmt.

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nimmt. So ist immer und in allem Uebereinstimmung zwischen dem, was er denket und thut, und dem, was er sagt und verspricht. Und welch eine edle Denkungsart,

welch einen vortreflichen Charakter seßet auch dieses bei dem Menschen voraus! Welche Liebe zur Wahrheit und zur Orde nung! Welche Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit! Welch eine Entfernung von aller Heuchelei und Falschheit, von als len Kunstgriffen des Neides und der Eifersucht! Welch ein edles, stilles Gefühl seiner Würde! Muß nicht der, welcher in dieser Absicht in keinem Worte fehlet, ein vollkommner Mann seyn?

Ja, er ist es um so viel mehr, da auch viertens alle seine Reden unbeleidigend, unschådlich und wohlthätig sind. Nie mißbrauchet er seine Zunge zum Lügen, zum Betruge, zur Verlåumdung, zur übeln Nachrede. Nie spricht er ohne Ehrerbietung von Gott und der Religion; nie ohne Achtung und Liebe von Wahrheit und Tugend; nie ohne Bescheiden: heit" von sich selbst; nie ohne Theilnehmung und Beifall von den guten Gesinnungen und löblichen Thaten seiner Brüder; nie ohne Mitleiden von ihren Unglücksfällen; nie ohne Nachs ficht von ihren Schwachheiten und Fehlern; aber auch nie ohne Mißfallen und Betrübniß von ihren Sünden und Vers brechen; nie im Tone des lustigen, ausgelassenen Scherzes von wichtigen und ernsthaften Dingen; nie mit boshafter Schadenfreude von fehlgeschlagenen Erwartungen und vers eitelten Hoffnungen seiner Gegner; niz mit Lachen von Uns ordnungen und Ausschweifungen, die dem einzelnen Mens schen sowohl als dem ganzen Geschlechte nachtheilig und vers derblich sind. Nie beleidigt und verwirret er durch unans ståndige Zweideutigkeiten das Ohr und das Herz des unschuls digen Jünglings und der schaamvollen Jungfrau. Nie spottet er der Einfalt des Kindes oder des Unwissenden. Nie opfert er dem flüchtigen, betrüglichen Vergnügen, seinen

Wiß schimmern zu lassen, irgend eine Wahrheit der Ret gion, irgend eine Stüße des menschlichen Trostes, irgend ein Schutzwehr der guten Sitten, irgend einen Theil des guten Rufs seines Nächsten auf. Kann er aber auf der an dern Seite jemanden durch seine Reden einen schädlichen Frr thum benehmen, seine Aufklärung befördern, und ihn zur Erkenntniß der Wahrheit führen; kann er dem Zweifler eis nen Knoten auflösen, oder ihm einen Grund zur Gewißheit an die Hand geben; kann er irgend einem Leidenden ein Wort des Trostes ins Herz prågen, irgend einen Schwachen, Furchtsamen, Verdrossenen durch seinen Zuruf ermuntern, irgend einen Frrenden oder Verführten warnen; kann er die Ehre eines Abwesenden retten, den guten Ruf eines Vers låumdeten wieder herstellen, das verkannte Verdienst aus seiner Dunkelheit hervorziehen, Mißverständnisse heben, falsche Gerüchte bestreiten, zu strenge Urtheile mildern, den Kindern Ehrerbietung gegen ihre Eltern, den Untergebenen Achtung für ihre Vorgeseßten beibringen; kann er die Masse der gemeinnüßigen Kenntnisse durch richtige Urtheile und Bes merkungen bereichern, irgend ein herrschendes, schäuliches Vorurtheil schwächen, irgend einen mangelnden, guten, ma ralischen Grundscß in Umlauf bringen; kann er die Sache der Menschheit, der Freiheit, der Tugend, der Religion, des Christenthums vertheidigen und behaupten: kann er irs gend etwas von dieser Art thun, dann freuet er sich der Gabe der Sprache, freuet sich der Gelegenheit, fie ihrer edelsten Bestimmung gemäß zu gebrauchen, benußet diese Gelegenheit gern und weislich und lässt dann seinen Mund von dem überfließen, wovon sein Herz voll ist. seine Reden nicht giftige Pfeile, die das Herz verwunden, fondern Balsam, der das verwundete Herz heilet, nicht Waffen der Ungerechtigkeit, sondern Waffen der Gerechtig keit, nicht Werkzeuge des Verderbens sondern des Wohls thuns: so find sie lieblich und mit Salz gewürzt und zielen

So find

alle

alle zur Besserung, zum Frieden, zum Troste, zur Freude, zur Glückseligkeit ab. Und welch ein edles, tugendhafs tes Herz sehen sie nicht auch in dieser Absicht bei dem Mens schen voraus! Welch eine aufmerksame und immer thatige Menschenliebe! Welch einen Eifer, wohl zu thun, und ger meinnüßig zu werden! Welch eine großmüthige Aufopferung glänzender Gaben und Vorzüge! Wie gern wird nicht ein solcher auch alle andere Mittel, seinen Brüdern zu nüßen, ergreifen und gebrauchen! Wie unmöglich muß es ihm seyn, fie mit Thaten zu beleidigen, da er sich so sorgfältig hütet, solches mit Worten zu thun! Und nun, m. a. Z., dieß als Les zusammen gefaßt — wer so in keinem Worte fehlet; weffen Reden auf die angezeigte Art immer verständlich,"ims mer richtig und genau bestimmt, immer wahr, immer uns schädlich und wohlthätig sind: muß der nicht in allen Absichs ten und in allen Stücken weise, edeldenkend, christlich ges #finnt, tugendhaft und fromm; muß er nicht, nach dem | Ausspruche des Apostels in unserm Texte, ein ganz vortrefli: cher, ein vollkommner Mann seyn?

Engel.

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