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aus ihrem strahlenden Antliß, sondern nach ihrem Wieders schein im Wasser.

Es ist das große Unterscheidungszeichen, das die Blor graphen alter und neuer Zeit Himmel weit von einander abs fondert: jene zeigen uns ihren Mann in Thaten und Hands lungen, die bis auf die kleinsten Nuancen, Verräther seiner Seele sind; die Neuern mahlen uns selbst seinen Charakter; der oft ein Roman ihrer, dfter ein Roman ihres Autors ist. Ich weiß sehr wohl die Ursachen, warum die Alten eher, als wir, haben Biographen der Seele seyn können: allein schriebe ich ein Leben, so würde ich ihnen entweder nacheis fern, und statt selbst zu reden, Handlungen reden lassen: oder, wenn ich ihnen ja nachbliche: so würde ich getrost vor mein Werk hinschreiben: „einige Begebenheiten von dem Leben so wie ich sie weiß, und der Charakter desselben der Gestalt und Schwäche meiner Augen vorkommt. “

Was wird nicht zu einem Biographen erfordert, der das wahre Bild seines Autors weder verschönert, noch entstellt, noch unähnlich an seinen wahren Ort im Range der Geister ftellen will? Wie Roussean, den Sohu seiner Phantasie, den wunderbaren Emil vor der Geburt und im Ehebette kannte: so müsste er seinen Freund durch alle Scenen seines Lebens begleitet haben, und der Vertraute seiner Geheimnisse gewors den seyn; und immer müsste er ihn doch fremde, wie ein müssiger Zuschauer beobachten können, um jeden Augenblick mit Aufmerksamkeit zu verfolgen. Unpartheitsch, wie ein Richter der Todten müsste er urtheilen: und doch gehört nicht fast ein kleiner Grad von verliebter Schwärmerei dazu, seinen Mann so sehr der Phantasie einzuprågen, daß man sein Bild nachher, wie aus dem Kopf, entwerfen kann? Und soll dies Bild aus dem Kopf entworfen werden, wie leicht können alsdenn aus der Kammer des Herzens Gåfte heraufwallen, um es zu tuschen und auszumahlen? Es wird in unsern Geist gepräget, und siehe da! unser Gepräge drückt sich von unten ein, und trifft in die Züge des andern.

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Ich führe einige absolute Schwierigkeiten an; die Hypother tischen wird ohnedem jeder fühlen, der je auf d.n Gedanken auch nur gekommen ist, ein Leben zu schreiben.

Ich hätte mit meiner langen schweren Vorrede vielleicht zu weit ausgehoit, wenn ich nicht eben den sonderbaren Weg einschlüge, um es desto deutlicher zu sagen: wie viel ich lie fern sollte, und wie wenig ich liefern kann?

Abbe hat sich selbst geschildert, aber nur als Schriftftels ler: ich betrachte also nur eine Seite seines Geistes, das gelehrte Denken, ohne es zu unternehmen, sein menschlich Denken zu entwerfen. Ich weiß, daß beide Seiten sich eins ander erklären, wie bei den Münzen Bild und Gegenbild ; ich fühle auch so gut, als jemand, die mächtigen Züge der Aufrichtigkeit, Treue und Wahrheit, mit welchen Abbt aus seinem Geist und aus seinem Herzen schreibt: ich werde diese Züge auch sehr nußen. Aber im Ganzen bin ich nicht so sehr auf der Seite derer, die in die Schriften, als in einen Spiegel des Herzens und der menschlichen Gesinnungen sehen wollen; ich bescheide mich, daß ich über einen Schriftsteller schreibe.

Und diese Bescheidenheit wird mich aus mans cher Verlegenheit reissen. Ich werde Abbt freilich nicht in die erste Klasse der Verdienstvollen seßen, weil er vóm Vers dienst geschrieben: denn er zeigt uns selbst die große Kluft, die vom Gedanken bis zur That ist. Ich werde ihn freilich nicht unter die Helden seßen, die den Tod fürs Vaterland starben, weil er den Tod fürs Vaterland angepriesen: denn sicherlich würde ein Held, der vor der Schlacht vom Tode fürs Vaterland schreibt, nicht wie Abbt geschrieben haben. Ich werde dafür aber auch entübriget seyn, ihn einen Leichtsinnigen zu fchelten, und zum Auto― da— Fe zu verdammen, weil er dies fes fliegende Blatt geschrieben: denn welch unermeßliches Feld dazwischen sei, fromm zu schreiben, als Gelehrter, und fromm zu denken, als Mensch; dieß Feld mögen die aus messen, die Abbt in die Hölle werfen, weil er ein Auto

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da

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Fe, und sich in den Himmel sehen, weil sie Predigten schreis. ben können.

Wo ich indessen nöthig habe, Abbt als Mensch auftres ten zu lassen, da werde ich auf seine Lebensbeschreibung einen Seitenblick werfen. Ich empfehle sie meinen Lesern als Einé leitung und Grundlage zu meiner Schrift, denn so, wie ich nicht ohne dieselbe håtte schreiben können: so kann ich auch nicht ohne dieselbe gelesen werden. Ueberdem so verräth fie eben dadurch die Meisterhand eines Biographen, daß sie von Abbts Werken auf seinen Geist, und von seinem Griste auf seine Werke schliesst: eins aus dem andern erklåret, und Abbt den Menschen und Freund neben Abbt den Schriftsteller zu stellen weiß. Indessen wiederhole ichs, daß meine Blicke auf dieses Feld bloß Seitenblicke bleiben werden.

Ich schränke mich noch mehr ein: ich ziehe die Linien zu meinem Bilde bloß nach dem verjüngten Maaßstabe seiner wenigen, unvollendeten Schriften. Freilich sind diese lebens dige Abdrücke von dem Geiste ihres Verfassers, da er keine Larve um sich genommen; allein nie erschöpfen sie seine Ge fichtezüge. Hat man seinen Autor als Freund gekannt, als Schüler lebendig gehört: so studirt man ihn in weniger Zeit tiefer, als in dem todten Lesen seiner Schriften es je gesche. hen kann. Hier habe ich nur die Summarien seiner Denks art, dort das Kapitel selbst; und man weiß, wie gewaltig die stolpern, die bloß aus Registern und Titeln gelehrt sind. Noch minder können die wenigen, unausgearbeiteten Schrif, ten ein Maßstab seines Geistes seyn. Diese Ehre bleibt denen eigen, die ihren Geist in ihre Bücher so eintertern, als jener Spanier den hinkenden Teufel in die Bouteille, oder Ariost den Verstand seines Helden in die Mondglås fer einschloß, daß ihnen nichts übrig blieb. Diese haben aledann das Vergnügen, sich im doppelten Verstande selbst auszuschreiben, im doppelten Verstande sich selbst zu überles ben, und ihren ganzen Geist der Welt ohne Rückhalt und Hinterlist treuherzig zu vermachen. Abbt war nicht Pros feffor

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effor genug, um so für seine Schüler, und der Tod nicht langsam genug, um so für seinen Biographen zu sorgen: feis ne Schriften sind ein kleines Fragment, eine kleinere, aber um so schatbarere Reliquie feines Geistes. Und wenn ich nun Abbt aus diesen seinen Schriften eine Ehrensäule errichten will: wie kann ich sie anders nennen, als einen verstümmels ten Torso?

Aber bei diesen Einschränkungen insgesammt feße ich mich doch durch Versprechen sehr in Schulden. Ich soll zuerst die eigene Manier eines Schriftstellers zeigen, und die Oris ginalstriche seiner Denkart bemerken: ein schweres, aber zus gleich nützliches Geschäfte. Schwer sind die Augenblicke abs zulauern, da sich die Seele entkleidet, und sich uns wie eine Schöne in bezaubernder Nacktheit darstellt: daß wir uns an die Denkart hes andern anschmiegen, und wie durch einen Kuß Weisheit lernen. Einige Züge von der Art, wo matt unmittelbar lernen kann: find nüßlicher als große Gelehrs famkeit, die wir aus dem todten Buchstaben fürs Gedächtniß Ternen, und dabei in unserer eigenen Seele alt und grau wers den. Daher hören wir so gerne Erfinder und Denker und Originalköpfe von der Methode reden, in der sie denken: sollten sie uns auch nur Embryonen von Begriffen, und uns aufgebildete, halb entworfene Gedanken liefern; daran liegt mir nicht, was Baco ausgedacht hat; sondern wie er dachte. Ein Bild von ter Art ist nicht todt; es bekommt Leben: es redet in meine Seele.

Daß die Arbeit, die ich nenne, nicht so leicht seyn müsse, fehet man auch aus der Seltenheit derer, die sich ihr unters ziehen. Einem großen Manne kleine Fehler abzulauern: uns höckerige Auszüge seiner Gedanken zu geben: ihn, wie durch ein Vorurtheil feines Namens, zu preisen; freilich das find leichtere und rühmlichere Verrichtungen; die aber nichts helfen, und öfters schaden. as fann es einem Leser hels fen, daß er durch solch einen regelmäßigen, oder krüppelhaf, ten Auszug durchwifchet? Der Grift des Autors ist weg aus

diesem Gerippe! Was kann es helfen, daß ich meinem Aus tor ein paar eigne Gedanken anflicke, und sie ihm wie Hdk, ter aufbürde? Muß es nicht äußerst schaden, das Auge eines Lehrlings daran zu gewöhnen, daß er zuerst Fehler sucht; sein Gefühl für die Schönheiten zu verhårten, und seine Seele damit zu verstümmeln, daß er tadelt, statt nachzuei, fern? Muß es nicht schaden, wenn wir geleitet vom Vorurs theil des Namens, alle Gedanken in guten Büchern für gött lich; und gute Gedanken in mittelmäßigen Büchern für schlecht halten? — Und siehe! dieß sind die Vortheile uns frer Gelehrsamkeit aus Journalen! Wir laufen durch Auss züge hin! sehen viel, und nicht ganz, und erwerben uns ein Kompendium des Verstandes. Wir lesen Urtheile, die uns entweder irre führen, oder doch gemeiniglich leer lassen; so wie der Schein des Mondes leuchtet, aber nicht erwärmt. Wir lernen Fehler finden, statt Schönheiten zu kosten, erreichen es also, gelehrt scheinen zu können, ohne selbst ein Sohn der Weisheit zu seyn. In der That so wie in der bürgerlichen Welt, der artige Umgang, sich von Nichts uns terhalten zu können, das wirkliche Commerzium menschlicher Seister und Herzen merklich geschwächt hat: so geben sich uns fre Kunstrichterseelen auch alle Mühe, durch ihre Gelehrfams keit und Scharfsinn die füffen Augenblicke uns zu rauben, da wir den Geist des andern sehen, und uns nach ihm bilden.

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und

Ich wills versuchen, diese eigne Manier Abbts zu zeich,

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nen, denn seine Eigenheit ist meistens Vorzug. 50 *) wenn an den Ufern des Eurotas, oder auf den Anhöhen des Cynthus Diana ihre Chöre übt, rings um sie, von allen Seiten umgeben sie tausende ihrer Dreaben: sie aber, den „Köcher auf ihrer Schulter, fortschreitend, ragt hervor über »ale Göttinnen: und geheime Freuden wallen in der Bruft „Laonens auf." So werden wir Abbt, wenigstens in Ges danken oft mit andern zusammen halten, um seine Muse zu erfemen. Erlangen wir dieß, so wird das zweite seyn, zu SDT 4

* Virg. Aeneid. L. I. v. 502.

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