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erweckt wird. Es ist am Ende der Ausdruck der Tatsache, die unleugbar ist und mir auch von Karl Schurz als allgemeine Erfahrung des Bürgerkrieges bestätigt wurde, daß in dem Amerikaner ein geborener Krieger steckt, dessen Potenzen in kurzer Zeit zu soldatischen entwickelt werden können.

Oder wie erklärten sich sonst die rough riders Roosevelts? Für die geringe Achtung des Technischen aber ist charakteristisch, daß Roosevelt glaubte, im soldatischen Lehrgang etwa eines Monats ein guter Oberst werden zu können.

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Freiheit. Diese Novembertage in New York sind herrlich. Ewig klarer Himmel über einer Großstadt! Und welche Aussicht von meinem Zimmer im elften Stocke des ManhattanHotels! Unter mir die breiten Massen des Zentralbahnhofes, dann nach rechts und links die Straßenmenge der Riesenstadt, dahinter das blaue Wasserband des East River, Brooklyn, und als Schlußdekoration die historischen Höhen der schönen Brooklyner Parke. Dazu ein Sausewind, der alles wegfegt, was den Dunstkreis einer Weltstadt ausmacht, der an den Läden meines Turmgemaches eilfertig rüttelt, ohne doch das Stahlskelett des Hauses auch nur im geringsten ins Schwanken zu bringen.

Wie verführerisch dieser Morgen! Lebe wohl, du Philisterplan, ins Metropolitan Museum zu gehen, lebe wohl, peruvianische Keramik! Der Liftjunge, ein Kanadier, rät in einem archaischen Französisch zu Battery Park und Freiheitsstatue. Gut!

Der Lotterweg der fünften Avenue, der Leidensweg des Broadway hinter mir; vor mir hüpfende Wellen. Ein kleines Dampfboot trägt zur Libertyinsel, zur Statue; unterwegs herrlicher Blick den Hudson auf und abwärts und nach New York; dazu amerikanische Vaterlands- und Freiheitslieder im Klingklang einiger dürftiger Instrumente: ich unterscheide My country t'is of Thee und While we were marching through Georgia.

Die Statue ist eine Freude. Wie ist sie in den Raum komponiert! Das Verdienst, kein geringes, wird mir erzählt, gehört den Amerikanern. Frankreich hat nur die Statue ge= schenkt, der Sockel, und das heißt Architektur und Maßverhältnisse des Ganzen, find amerikanisch. Schärft der große Raum auch die Raumanschauung, ja hier möchte man fast sagen die Raumempfindung?

Ich gehe mit einer kleinen Gesellschaft junger Leute den Weg zur Statue und in der Statue empor bis zu den Aussichten, die zu den schönsten New Yorks gehören. Einer der jungen Männer ist Arzt in Kalifornien, hat in Deutschland studiert, nennt auch einzelne Universitäten und mir dem Namen und teilweise sogar der Person nach bekannte Professoren: und trägt den Leuten vor, wenn man die Professoren in Deutschland nicht mit ausnahmsloser Fertigkeit als Geheimräte titu= liere, falle man durchs Examen. Soll ich dazwischen reden? Ich fange ein anderes Gespräch über beliebige Materien mit der Gesellschaft an, suche möglichst liebenswürdig zu sein und bemerke schließlich an passender Stelle, rasch darüber hingleitend, ich sei deutscher Professor und sogar auch Geheimrat. Man lächelt; ich bin verstanden. Und als nun ein besonders unbedarfter Jüngling aus dem Kreise fragt: „ob denn in Deutschland Examengefahr bestehe, wenn“ usw., habe ich leicht, mit schlichtem Nein glaubhaft abzulehnen.

Aber dennoch! Wie mochte der Kalifornier zu seiner Auffassung gekommen sein? Ein bißchen via Mark Twain? Jeden= falls bona fide. Der deutsche Freiheitsbegriff hat manchmal sonderbare Facetten.

Wir steigen hinab; ich bleibe allein. Da drüben die nächste Insel in einförmigem Blau ist Ellis Jsland. Da sißen die Einwanderer und werden auf Herz, Nieren und Geldbeutel geprüft, ehe man sie ins gelobte Land der Union einläßt. Ob sie auch über Geheimratstitelrätseln brüten? Zollrevision, Gesundheitslegitimation, Auswandererprüfung: das sind Dinge, über die jeder, der in New York landet, eigene Geschichten hat. Denn bei diesen Gelegenheiten wird zugefaßt, und wo die

amerikanische Verwaltung wirklich zufaßt, faßt sie kräftig. Und mit Hundertdollarstrafen ist in New York und anderswo sogar das Ausspeien in den Straßenbahnwagen verboten.

Mich erinnert das alles an die Hanse und an die Nachfolgerin der Hanse in einem spezifischen Charakter von Gebot und Verbot im deutschen Norden, an die preußische Verwaltung: die haben verwandte Begriffe von obrigkeitlicher Banngewalt gehabt und haben sie noch. In Amerika kann man das koloniale Freiheit nennen.

Und wie steht's mit dem lieben Deutschen, der sich in der Neuen Welt der Lebensweisheit Vischers erinnert:

Doch dem Biedern ist's zu gonnen,
Wenn am Abend sinkt die Sonnen,
Daß er in sich geht und denkt,

Wo man einen Guten schenkt?

Glaube ja nicht, daß du dich in der Kneipe in germanischer Willkürwahl hinseßen kannst, wohin es dir beliebt; der Kellner wird dir den Ort zeigen, da du sizen sollst. Und bist du etwa so ein deutscher Eigenbrödler, der sich nicht fügt und im Schatten der Kneipe wie ein alter Germane sizen will, ut fons, ut nemus placuit: so wirst du vom Kellner schlecht bedient werden. Und nun gar die alkohollosen Kneipen, die, um mich pariserisch auszudrücken, Duvals für Kaffee, Tee, Kakao und andere „sterke Dranken“ mit Frauenzimmerbedienung ! Da sperren die Kellnerinnen womöglich die Hälfte der Sigbänke, weil ihnen sonst zuviel Lauferei entstehen würde: und du wirst als neuer Ankömmling an die Queue der Schmausenden angeschobenbeinahe hätte ich geschrieben anrangiert wie in Güterwagen auf der Bahn! — Und das sind nur Erfahrungen in Auswahl. Ganz durchweg lebt der Amerikaner unter dem absoluten und, von unten her betrachtet, sehr aufgeklärten Absolutismus aller derer, die da Diener heißen. Die Überschrift aber zu diesem Kapitel, dessen Schluß eine Jeremiade über das Dienstbotenelend sein würde, über die Stellung derer, die man in prähistorischen Zeiten Hausgesinde nannte, kann weitaus am besten lauten: demokratische Freiheit.

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Jezt aber fahre ich, erst spät am Nachmittag, aus all der sonnigen Wärme von Liberty Jsland heim: vor mir das großartige und doch wunderliche Panorama New Yorks. Da steigen sie auf, all die Skyscraper: hinweg über das gemeine Häuserpack, luftig und doch fest, und suchen den Himmel. Aber aus der zerrissenen Silhouette steigt mir auch ein anderes Bild auf, langsam geht es aus den gegebenen Massen und Umrissen hervor, wie in Nebelbildern eine Lenzeslandschaft aus herbstlichem Gemälde und nun weiß ich, was es ist! San Gimignano, du trogiges Tuskernest, wie kommst du hierher? Aber das Bild weicht nicht, wie ich es einstmals gesehen: der lange Bergrücken gegen einen Horizont, an dem dunkle Wolken einer Burrasca drohen, deren Blize in wenigen Minuten zucken werden, und zwischen Berg und Himmel, wuchtig auf die Erde aufgestemmt, die Mauer des Städtchens - darüber hin die, irre ich nicht, dreizehn fünf-, sechs- und siebenstöckigen Türme der Geschlechter, die einst hier hausten, sich von den Bauern ringsum mit den Gaben der Teilbauwirtschaft füttern ließen und untereinander Montecchi und Capuletti spielten! Und nun weiß ich, was du in diesem Zusammenhange willst, du einzig erhaltener Typ der frühmittelalterlichen Stadt Italiens, du Geschlechterzwingburg naturalwirtschaftlicher Zeiten, die du in deinen Türmen und deinen Wein

Lamprecht, Americana.

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fellern und Getreidescheuern den sauren Schweiß des Landmanns sammeltest! Gleichen deine Türme nicht den Skyscrapern da drüben, in denen bis zum vierundzwanzigsten Stockwerke die Schreibmaschinen rasseln? Und würden deine Keller und Scheunen nicht heute Banken und Engrosmagazine sein? New York das San Gimignano der Gegenwart; seine Bankiers und Großhändler die Montecchi und Capuletti von heute; das ganze Unionsgebiet das Teilbaufeld, aus dem Reichtum um Reichtum in der Empire city zusammenströmt: darnach alles geformt, geregelt, verwaltet, eingerichtet, ja sogar gebaut: das ist des Rätsels Lösung. Und wie würde man das System im ganzen taufen? Im Mittelalter hieß es libertas nobilium, heute heißt es kapitalistische Freiheit oder liberty der captains of industry.

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Doch nun, in den verkehrdurchbrausten Straßen New Yorks, wollen wir nicht vergessen: über alledem schwebt schüßend noch immer mit gelegentlich doch recht scharfen Fängen der amerikanische Aar: die große Freiheit, wie sie Penn verstand, wie die Altvordern der Revolution sie erfaßten und erkämpften: die Freiheit der Verfassung.

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