Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Vorwort und Einleitung.

Ich habe gewißlich kein Buch über Amerika schreiben wollen. Und ich habe dazu auf meiner Reise durch die Vereinigten Staaten im Jahre 1904 auch nicht gesammelt. Ich habe nur photographisch und sprachlich in Bild und Tagebuch beschrieben und durchgedacht, was mir lehrreich zu sein schien für späteren gelegentlichen Gebrauch bei universalgeschichtlichen Studien.

Und nun doch dies Bändchen?

Man soll dem Teufel nicht den kleinen Finger reichen, sonst nimmt er die ganze Hand. Auch nicht dem Teufel der ganzen oder der halben Öffentlichkeit. Ich habe von meinen Erfahrungen gelegentlich mitgeteilt, in Bildern, Gesprächen, Vorträgen. Schließlich habe ich, von da vorwärts getrieben, zögernd und doch am Ende nachgebend Notizen aus einem der von mir geführten Tagebücher drucken lassen, in der „Kölnischen Zeitung", Dezembernummern des Jahres 1905 (Nr. 1250, 1254, 1260, 1266, 1271, 1278, 1283).

Ich glaubte damit nicht etwas Besonderes zu tun, habe sogar einige Zeit gar nicht gewußt, daß der Abdruck erfolgt war. Da wurde ich aus der ruhigen Muße anderer Studien unsanft geweckt durch den Lärm, den meine Bemerkungen in Amerika gemacht hatten, und die Post brachte mir Zeitungsnotiz über Zeitungsnotiz von jenseits des Wassers, bis sich die Päckchen zu einem kleinen Schreibzimmerberge getürmt hatten. In den Artikeln dieser Zeitungen, namentlich der deutschen, wurde ich nicht immer zart behandelt; anfangs war die Entrüstung über einige meiner Äußerungen anscheinend ziemlich

allgemein; später, bei ruhigerer Betrachtung, hat aber auch ziemlich allgemein und sogar in einigen deutschen Kreisen eine Meinung überhand genommen, die meine Beobachtungen richtig, ja ich darf es wohl sagen: besonders richtig fand.

Im Mittelalter pflegte der Papst säumigen Bischöfen zu schreiben: nolite existere canes muti non valentes latrare. In literarischen Dingen bin ich nie ein canis non valens latrare gewesen. Denn wer eine Meinung äußert, muß auch bereit sein, sie zu verteidigen; das allein rechtfertigt ihre Kundgebung. Und so hätte mich wohl schon der Widerspruch, den ich teilweise fand, veranlassen können, meine Anschauungen in vertiefter Form zu wiederholen. Um so mehr wirkt die freundliche Beachtung, die meine Eindrücke schließlich doch vielfach gefunden haben, in dieser Richtung. Ich veröffentliche daher im folgenden diese „Eindrücke“ noch einmal, bekräftige sie aber vor allem durch Publikation neuer Stücke, die ich aus meinen. Aufzeichnungen so auswähle, daß sie meine Anschauungen nicht bloß fester fundamentieren, sondern zugleich deren Entstehung dokumentieren. Endlich füge ich die Skizze einer historischen Gesamtanschauung der Vereinigten Staaten hinzu, wie ich mir diese auf Grund wesentlich auch geschichtlicher Studien gebildet habe.

Zur ersten Einführung aber in den allgemeinen universalgeschichtlichen und kosmopolitischen Zusammenhang, aus dem heraus allein sich meine Auffassung der amerikanischen Verhältnisse ergibt, sende ich einige Worte voraus, die ich vor nicht allzu langer Zeit in ganz anderem Zusammenhange und in ganz anderer Absicht an meine deutschen Landsleute und jungen Kommilitonen an der Leipziger Universität richten durfte:

Goethe hat in einer der tiefsten geschichtlichen Bemerkungen seiner Farbenlehre geschildert, welch ungeheuren Einfluß die astronomische Lehre des Kopernikus auf die Menschenwelt gehabt habe: der Erdenbewohner, der sich bisher als Mittelpunkt des Universums vorkam, habe sich umdenken müssen in die Rolle des Insassen eines mittleren Planeten; wie viel Verzicht auf alten Glauben, eingebürgerte sittliche Vorstellung und

Sitte, ja Umbildung des alltäglichen Denkens und Handelns habe das erfordert: Jahrhunderte seien darüber hingegangen, ehe man sich völlig in die veränderte Lage gefunden habe.

Ein ähnlicher Umdenkungsprozeß, zwar nicht von so weiter Ausdehnung, aber von um so innerlicherer Bedeutung und auf einem Gebiete von um so häufigerer Einwirkung, wird heute dem deutschen Volke zugemutet. Nicht der himmlische Kosmos hat sich für uns verschoben, wohl aber der irdische, der Kosmos der Menschenwelt. Und davon, daß wir die damit eingetretenen Wendungen rasch verstehen und ohne Wanken die nötigen Folgerungen ziehen, hängt ein gutes Teil unserer nationalen Zukunft ab.

Es war wahrlich ein groteskes Schauspiel, als vor und noch während des russisch-japanischen Krieges das Volk der Denker und Dichter, das Volk, das sich der ersten wissenschaftlichen Stellung in der Welt rühmt, Wesen und geschichtliche Entwicklung der Japaner so verkennen konnte, daß es seine Kultur als Halbkultur, seine Zivilisation als Barbarei bezeichnete. War es denn wirklich nötig, daß ein Volk von so ausgesprochener Kulturhöhe seine Zugehörigkeit zur Zivilisation des Erdballes in unseren Tagen erst durch Kampf und Sieg eines ungeheuren Krieges beweisen mußte?

Es ist eine Lehre gewesen, aus der die Nation hoffentlich alle Konsequenzen zieht. Die drei Weltteile höherer eigen o ständiger Zivilisation, Asien, Europa und Amerika, haben in der Entwicklung der alten mittelamerikanischen Reiche von Meriko und Peru eine Kultur, die der unseres hohen Mittelalters gleichstand, in der Entfaltung der indischen, chinesischen und japanischen Geschichte aber Kulturen hervorgebracht, die, wenn auch zu anderen Formen durchgebildet, doch ihrem inneren. Gehalte nach vielfach ebenbürtig dastehen neben der Entwicklung der vorderasiatisch-europäischen Kulturen. Von diesen Kulturen sehen die indische und die chinesische auf ein so hohes Alter zurück, daß sie mit der Zivilisation unserer antiken Welt, der Römer, der Griechen und der Vorgänger dieser vergleichbar sind; die japanische Kultur aber baut sich auf der chinesischen

und indischen auf, wie die unsere sich auf der antiken. An zwei Stellen der Welt also, und nicht bloß in Europa und an den Mittelmeergestaden ist solch eine im eigentlichen Wortsinn pyramidale Entwicklung der Kultur eingetreten; und es ist heute eine der wichtigsten Forderungen wahrer Menschlichkeit, daß diese beiden Entwicklungen sich gegenseitig verstehen lernen, anerkennen und achten.

Über diesen Stufenaufbau der alten Kulturen aber hinaus wohnt unsere Zeit den merkwürdigen Bildungsvorgängen einer ganz neuen Stufe in Nordamerika bei. Gewiß: dieser Vorgang verläuft jezt noch in den Anfängen; die alte Yankeekultur Neuenglands hat sich verflüchtigt und ganz Neues ist, vornehmlich in dem zentralen Gebiete der Union, in den Staaten des Mississippitales erst eben im Werden: jugendlich noch ist diese Kultur, von oft ungeschlachtem Idealismus und von wenig anmutiger Haltung; aber wer tiefer sehen will, der schaut durch all die Äußerlichkeiten hindurch doch in das Aufquellen eines neuen historischen Daseins von unendlichem Reichtum: wie etwa der Architekt in den spröden Formen einer frühgotischen Kirche gleichsam den Reichtum der Kreuzblumen, Fialen, Wimperge, kurz die ganze Blüte der Formenwelt eingebettet findet, die die Entfaltung des Stiles in seiner Höhezeit einmal aufzuweisen bestimmt ist.

Innerhalb eines so wunderbaren Werdens geziemt es einer alten Kulturnation, wie der unseren, nicht, sich auf heimische Dinge zu beschränken. Wir sind stark genug, auch in der neuen Lage, die eine erste praktische Einordnung aller Nationen in das große Ganze der Menschheit bedingt, unseren Play zu wahren. Aber es kann nicht in hochmütigem Ablehnen dessen geschehen, was uns noch fremd ist, sondern nur in dessen freudigem Studium: wir müssen die Nachbarn mindestens genau kennen, mit denen wir in dem großen Palast menschlicher Zivilisation, nun enger aneinander gedrängt, wohnen sollen, sollen wir sie lieben und schäßen, sollen wir ihnen auch unsere Eigenart vertraut und bedeutsam machen. Der alte ideologische Kosmopolitismus, der von der Gleichheit aller Menschen be

dingungslos schwärmte, er ist verschwunden: wer ruft heute noch im Sinne Schillers und Beethovens: „Seid umschlungen, Millionen, einen Kuß der ganzen Welt!" Aber ein neuer Kosmopolitismus ist eingezogen; ein praktischer Kosmopolitismus, der sich neben anderen sieht, und der, um das eigene Selbst zu behaupten, vor allem der Kenntnis des anderen nachgeht.

Darum hinaus mit der Jugend

hinaus in das Getriebe der Staaten Europas, das Durcheinander der Völker der Welt! Und man klage nicht, daß über diesem Rufe die Heimat zu kurz kommen werde. Wir Deutschen sind reich an Heimatsgefühl, schon durch dessen vielgestaltige Gliederung in die sittlichen Gefühle alter Familienzusammenhänge und regionaler Verwaltungstätigkeit in Körperschaften, Gemeinden und Provinzen, wie in die politischen Gefühle der partikularen Staatsgemeinschaft und der Zugehörigkeit zum Reiche. Und wie sind alle diese Gefühle seit 1870 neben und durcheinander gepflegt worden! Jezt heißt es ihr Wertvolles eben dadurch betonen und läutern, daß sie einem Prüfungsprozeß auf Schlacken ausgesezt werden durch den Zusaß eines neuen praktischen Kosmopolitismus. Und darum: Hinaus, du Jugend, mit frischem Mut und frischem Auge; sei es im Reisehut, sei es auf dem Wege der Lektüre und der wissenschaftlichen Forschung: hinaus in die Welt, die wir ganz kennen müssen, um uns jelber recht zu kennen und recht zu beherrschen.

Die tiefe Wandlung des Weltgefühls aber, wie wir sie erleben, übt schon jezt entscheidende Wirkungen aus auf unser Nationalgefühl. Jenes Nationalgefühl, das nur die eigene Nation als trefflich kennt, das ruhmredig ist und unduldsam: ein Gefühl, das sich geschichtlich bis auf die allen edlen Völkern einmal eigene Urform zurückzuverfolgen läßt, daß sie nur sich als wirkliche Menschen anerkennen, die anderen aber höchstens als Barbaren: es ist heute im Verschwinden; nur, wie es Verfallserscheinungen zu gehen pflegt, flackert es wohl noch einmal in besonderer, verzerrter Gestalt auf, in der Gestalt des Chauvinismus. An die Stelle aber tritt ein anderes Ge

[ocr errors]
« ZurückWeiter »