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den bedürfnifsvollen und hülfeleeren. Man denke sich sechs Menschen mit einer Menge Effecten in ein enges Zelt zusammengedrängt, selbst nafs auf nassem Lager; man denke sich zwei von ihnen so krank, dass, weil die an Diarrhöe Leidenden nicht mehr bis ausserhalb des Zeltes gebracht werden konnten, man genöthigt war, im Zelte selbst sie ihre Bedürfnisse verrichten zu lassen, zu dessen Besorgung ihre eigenen Kräfte nicht mehr hinreichten. Man denke sich die vier Gesunden selbst stark angegriffen, und einen davon schon in der Nothwendigkeit, aus Vorsicht zur Selbsterhaltung sich der Nachtwache zu entziehen. Man denke sich diese Gesellschaft mitten in der libyschen Wüste in jedem unaufmerksamen Augenblicke einem räuberischen Ueberfalle entgegensehend, so hat man ein schwaches Bild unserer Lage, dem aber noch die Hauptsache, die Wirklichkeit, fehlt.

An Feuer und warmes Essen war nicht zu denken. Schiffszwieback und Zwiebeln, und für die Kranken zum Glück gestern reichlich bereitetes Reiswasser war alles, was die Tafel bot.

Als zu Mittag der Regen ein wenig schwächer ward, war unser Entschlufs gefafst, Alexandrien rasch zuzueilen. Wir forderten die Araber auf, sogleich die auf der Weide zerstreuten Kameele zusammenzutreiben und unsere Effecten aufzuladen, damit wir heut noch und in der nächsten Nacht so weit vorwärts rückten, dass wir morgen Alexandrien erreichen könnten. Die Araber weigerten sich, in diesem Wetter zu marschiren, und als wir ihnen drohten, dafs sie durch Hartnäckigkeit uns auf's Aeufserste bringen würden, wurden sie nachgebend, und riethen blofs davon ab, weil die Kameele auf dem durch den Regen schlüpfrigen Boden ausgleiten, und unsere Kranken leicht Schaden nehmen könnten. Ueberzeugt, dass nur ein rascher Wechsel der Verhältnisse und gröfsere Pflege unseren Gefährten das Leben retten könne, und dafs selbst ein mehrtägiger Aufenthalt in der hülflosesten Lage die Umstände nicht ändern werde, drangen wir auf schleunige Abreise.

Gegen Sonnenuntergang zogen wir am wohlbekannten Abusir vorüber. Das sonst hier trockne Bett des Mareotis, welches wir

zu durchwandern hatten, war durch den 12stündigen, allmälig sich verlierenden Regen hier und da mit Wasser-Ansammlungen gefüllt und morastig. Die Kameele wurden deshalb einzeln jedes zwischen zwei aufmerksamen Personen langsam hinübergeleitet, und obwohl mehrere ausgleiteten, so hinderte unsere Vorsicht doch den Fall. Man konnte es wohl ein Wunder nennen, dafs alles glücklich durch den Morast kam. Nach 9 Stunden lang fortgesetztem Marsche, bis 10 Uhr Nachts, lagerten wir uns, aus grofsem Bedürfnifs der Kranken, im Sande bei Bir Krer, von wo wir am anderen Tage Alexandrien erreichen konnten.

Hier noch hatten wir einen harten Streit mit den Arabern, die nicht genug Wasser von Hamam mitgenommen hatten, und uns mitten unter den nur wenig entfernten Quellen dursten liefsen.

Am 9ten Morgens ward weiter gezogen, und Nachmittags 4 Uhr erreichten wir Alexandrien, wo Herr BOLDRINI Zwar nicht für uns Alle, aber für Herrn LIMAN ein Unterkommen eingerichtet hatte. Der preussische Consul, Herr BUCCIANTI, hatte sich erboten, ihn in sein Haus aufzunehmen. Wir Andern fanden kein Unterkommen, und schlugen mitten in der Vorstadt unweit des katholischen Klosters unser Zelt auf. Auf einer Trage ward Herr LIMAN von Arabern in die Stadt gebracht, hatte aber das Unglück, durch Ungeschick derselben beim Aufheben herabzufallen. Wir liefsen Herrn Doctor MORPURGO bitten, sich des Kranken in der Stadt anzunehmen, was er eifrig gethan hat. Sehr erschöpft, ruhten wir aus, und beschäftigten uns mit unserm zweiten Kranken, Herrn SOELLNER, den wir mit uns im Zelte behalten mussten. Herr SCHOLZ befand sich wieder wohl. Herr BOLDRINI hatte für ein kräftiges Abendessen gesorgt, das aber erst zu Mitternacht eintraf.

In dieser folgenden Nacht wurden wir sammt unserm kranken Gehülfen wieder mit einer Regenfluth in unserm durch die Reise sehr beschädigten Zelte heimgesucht, und am Morgen ging deshalb Dr. HEMPRICH sogleich aus, um durch Herrn BUCCIANTI's Vermittelung uns ein festeres Obdach aufzusuchen, während ich bei

dem Kranken blieb. Herr Consul DUMREICHER hielt für uns um Benutzung einer leeren Halle im Hofraume des Franciskaner-Klosters an, allein er wurde abgewiesen, wie denn diese Gottesmänner, um nicht incommodirt zu werden, sich oft geweigert haben, aus ihren das beste Trinkwasser liefernden Cisternen den danach schmachtenden wenigen Kranken des benachbarten Hospitals dessen mitzutheilen. Durch gütige Verwendung des sehr zuvorkommenden Herrn Dr. MORPURGO erhielten wir vom österreichischen GeneralConsul, Herrn CAVACCO, dem Vorsteher des Hospitals, gegen Abend die Einladung zur Benutzung der leeren Zimmer des neu erbauten Hospitals, wo wir für uns, unseren Kranken, unsere Effecten und Beschäftigung hinlänglichen Raum und grofse Bequemlichkeit hatten. Das Local war freilich das eigentliche Pestlazareth, allein da seit fünf Monaten keine Kranken dieser Art darin gewesen waren, und da alles sehr reinlich gehalten war, so trugen wir kein Bedenken, uns dort lieber einzuquartieren, als uns noch länger unter einem undichten Zelte der feuchten Winterwitterung preis zu geben, und um so weniger, je mehr das Urtheil des erfahrenen Herrn Dr. MORPURGO über die Ansteckungsfähigkeit des Ortes uns ganz beruhigte. Auch befürchtet man in Alexandrien während der Wintermonate nie Anfälle der Pest, die sich nur erst nach dem Winterregen im Frühling einzufinden pflegt. Man kannte wohl Ausnahmen, allein unsere Wahl bestimmte sich natürlich nach der Regel. Noch heut zogen wir in das neue Local, und vergassen mit dem ersten sorglosen Schlummer die überstandenen Mühen der 2 monatlichen Wüstenreise.

In den folgenden Tagen, wo der Zustand unseres kranken Gehülfen sich, obwohl ein schleichendes Nervenfieber ausgebildet war, etwas besserte, ordneten wir unsere Effecten, und gingen abwechselnd in die Stadt, um Herrn LIMAN zu sehen, und uns in den Consulaten nach angekommenen Schiffen und Briefen zu erkundigen. Leider veränderte sich bei den verbesserten Verhältnissen, trotz aller Sorgfalt des Herrn Dr. MoRPURGO, der an unserer

Stelle seine Behandlung fortsetzte, der Zustand des Herrn Prof. LIMAN SO wenig zum Guten, dafs wir seiner Auflösung entgegensahen. Die Krankheit nahm immer deutlicher den Character eines bösartigen Nervenfiebers an und mit jedem Morgenbesuche im Hospital, den uns die Freundschaft des Herrn Dr. MORPURGO nach der Krankenvisite machte, verdrängte auch sein Kopfschütteln immer mehr die gern genährte Hoffnung von LIMAN'S Genesung. Unsere eigenen Besuche gaben uns kein tröstlicheres Resultat.

Am 13ten Morgens hatte er ihn sehr früh besucht, und kam wie gewöhnlich mit Sonnenaufgang zu uns, blofs aber, um sich mit uns wegen Anwendung der kräftigsten medicinischen äussern Reizmittel zu berathen, und eilte wieder zu dem Kranken. Wir waren eben im Begriff, ihm in die Stadt nachzufolgen, als schon ein Bote von Herrn BUCCIANTI, wie es hiefs, auf Herrn LIMAN'S Verlangen gesendet, uns Beide in die Stadt rief. Wir fanden unsern Gefährten mit erschwerter Respiration, hippocratischem Gesicht, sehr schwachem und schnellem kaum zu unterscheidenden Pulsschlage, Sehnenhüpfen und geringer Sprachfähigkeit, kurz mit den Anzeigen seines baldigen Verscheidens, welche unter der von Dr. MORPURGO umsichtig angeordneten, zuletzt von mir selbst besorgten medicinischen Thätigkeit sich unaufhaltsam verstärkten. Er starb gegen 10 Uhr Morgens in meinem Beisein, nachdem er vorher, einen Bleistift verlangend, es unmöglich gefunden, noch einige Worte niederzuschreiben.

Nach morgenländischer Sitte ward von Seiten des Consulats, welches durch Aufziehen der gesenkten preufsischen Flagge den Verstorbenen ehrte, schon auf den Nachmittag um 4 Uhr seine Beerdigung vorbereitet. Da die Franciscaner-Mönche durch unrechtgläubige Verstorbene ihr Heiligthum nicht verpesten wollten, übergaben wir ihn den griechischen Mönchen, welche denselben mit den gebräuchlichen Ceremonien ihrer Kirche aufnahmen. Der Consul, Herr BUCCIANTI, schritt mit den Janitscharen des Consulats voran, und an Herrn SCHOLZ und uns schlossen sich mehrere

angesehene Männer Alexandriens, um dem Sarge zu folgen. Kein Muhamedaner störte die Ceremonie. Ein englischer Missionär zur Bekehrung der Juden im Morgenlande, ein Schweizer, hielt eine erbärmliche Grabrede, und da wir diess im Voraus fürchteten, so hatten wir ihn ersucht, die Rede in deutscher Sprache zu halten, weil der Verstorbene und wir Deutsche wären. Seine Willfährigkeit hatte das Gute, dafs aufser Herrn DUMREICHER, Dr. MORPURGO und uns kein Anderer der Anwesenden an seinen beschränkten Ansichten der christlichen Religion einen Anstofs nehmen konnte.

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