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überzuführen. Auf diesen Punkt ist bereits bei Besprechung der Beständigkeit der Formen hingewiesen worden. Wenn nun Diejenigen, welche den weiten Artbegriff bevorzugen, annehmen, dass die Unterschiede von Rubus suberectus Anders. und R. Bellardii Wh. et N. sich im Laufe von etwa 5000 Generationen herausgebildet haben, so darf man wohl fragen, wie hoch sie die abändernde Wirkung von 50000 Generationen schätzen! Glauben sie aber, dass R. suberectus schon durch 50 Generationen in R. Bellardii umgewandelt werden kann, eine Ansicht, die schwerlich irgend ein Kenner dieser Pflanzen theilen dürfte, so wird man zunächst einfach fragen, welche Vorstellung sie sich von dem Maasse der Abänderungen machen, die binnen 500 und 5000 Generationen erfolgen können. Es ist daher nicht wohl einzusehen, wie Jemand, der an „Arten“ in dem angedeuteten weiten Umfange glaubt, irgend welche Zweifel an der Richtigkeit der Grundanschauungen der Entwickelungstheorie hegen kann.

Die Abänderungen, welche wir bei unsern Culturpflanzen auftreten sehen, erreichen nicht entfernt den Betrag der bei jenen ,,Arten“ von Euphrasia, Rosa, Rubus beobachteten Verschiedenheiten. Vorsichtigere Botaniker werden daher Einschränkungen des allzu weiten Artbegriffs in solchen Fällen vorziehen, allein sie werden dann auf Schwierigkeiten in der Abgrenzung der engeren Formenkreise stossen. Als Ausweg, um den missliebigen Consequenzen der Entwickelungstheorie zu entgehen, lässt sich dies Verfahren nicht benutzen.

Die Theorie, nach welcher die Variabilität als specifischer Charakter gewissen Arten zukommt, ist auch nicht im Stande, die einfachen Thatsachen zu erklären. Weshalb variiren solche Arten, die ihrer Natur nach variabel sind, nicht überall? Einige bethätigen diese Eigenschaft in den arktischen Gegenden mehr als in den Gebirgen (z. B. die Draben), andere beschränken sich darauf, in den europäischen Gebirgen zu variiren (z. B. Papaver alpinum L.), während sie im Norden constant sind. Einige Arten sind in Europa constant, aber in Amerika variabel (z. B. Stachys palustris L., Polygonum Bistorta L.), andere umgekehrt (Viola canina L., Campanula rotundifolia L.). Andere Arten oder selbst Artengruppen variiren nur in einzelnen Gegenden; die Farbenabänderungen der gelbblüthigen Arten aus der Gruppe der Primula veris sind z. B. in der Normandie häufig, an andern Orten selten, in Deutschland fast unerhört. Wenn man die Variabilität als eine besondere Eigenschaft gewisser Formenkreise auffasst, so

muss man zugeben, dass dieselbe bald an geographischen Racen, bald an Arten, bald an ganzen Artengruppen oder Gattungen (Polygala, Rosa, Hieracium) haftet, dass sie aber weder zu den weiteren noch zu den engeren Species besonders nahe Beziehungen zeigt.

In

Die Vereinigung verschiedener wesentlich von einander abweichender, wenn auch durch Zwischenstufen verbundener Formenkreise unter einen gemeinsamen Speciesnamen ist ein technischer Kunstgriff zur Erleichterung der systematischen Uebersicht. dieser Weise aufgefasst hat das Verfahren seine volle Berechtigung. Leider ist aber die heutige Menschheit dazu erzogen, alle Gedankenoperationen mit Hülfe von Worten und Formeln vorzunehmen, anstatt direct die Vorstellungsreihen und Begriffe mit einander zu vergleichen. Sobald man einmal für die Formenkreise a, b, c, d (man erinnere sich der Racen oder Arten bei Tubocytisus, Viola, Scabiosa oder dergl.) den gemeinsamen Stamm B und für die Formenkreise e, f, g, h den gemeinsamen Namen F erfunden hat, beschäftigt man sich nur noch mit B und F, ohne zu bedenken, dass d und e sich sehr nahe berühren, während b und f, als typische Formen von B und F, allerdings deutlich verschieden sind. Diese Sachlage macht jede Erörterung über einen einzelnen Fall sehr schwierig, denn der Vertheidiger der Vorstellung von den scharfen Grenzen zwischen den Arten wird, wenn er auf die engen Beziehungen von d und e zu einander aufmerksam geworden ist, behaupten, es seien d und e Varietäten einer eigenen sowohl von B als auch von F zu trennenden Art. Ist auch dieser Standpunkt als unhaltbar erkannt, so heisst es schliesslich, B und F seien, weil Uebergangsformen zwischen ihnen vorkommen, zu einer einzigen Art zu vereinigen. Man wird dann aber zugeben müssen, dass innerhalb einer Art, die doch stets als einheitlich entstanden gedacht wird, im Laufe der Zeit sich weit grössere Unterschiede herausgebildet haben, als die sind, welche sonst zwei verschiedene Arten trennen eine Annahme, auf deren Consequenzen bereits hingewiesen worden ist.

Diese Betrachtungen führen nothwendig zu der Frage, was denn eigentlich die Varietäten sind. Praktisch genommen ist darauf zu antworten, dass nach den ländläufigen Ansichten Species diejenigen Formen sind, mit welchen sich der Botaniker, Varietäten diejenigen, mit welchen sich der Gärtner zu beschäftigen hat. Man erachtet die Varietäten als einer wissenschaftlichen Behandlung unzugänglich und überlässt sie dem Züchter, der sie

einfach nach ihrem Verkaufswerth classificirt. Wagt ein Botaniker es, sich mit Varietäten zu beschäftigen, so pflegt er, um doch den Schein zu retten, sie Species zu tituliren. Daher der Streit über LINNE'sche oder JORDAN'sche Arten. Wissenschaftlich richtiger wäre es natürlich gewesen, wenn JORDAN den Namen Species, der einmal für die weiten Formenkreise allgemein gebräuchlich war, nicht auf seine engen Formenkreise übertragen hätte. Wenn die LINNE'schen, DOLL'schen, NEILREICH'schen, BENTHAM'schen, REGELschen Arten als Species bezeichnet werden sollen, so gebührt den JORDAN'Schen eine andere Benennung. Allein kein Mensch hätte sich um JORDAN's Arten bekümmert, wenn er sie nicht Species genannt hätte, denn die Botaniker würden sogleich gemerkt haben, dass es nur ,,Varietäten" seien, sie also Nichts angingen. Die Gärtner würden sich andererseits ohne beigefügten Preiscourant eben so wenig mit jenen ,,Neuheiten" beschäftigt haben. JORDAN drückte daher einfach die systematischen Rangordnungen um eine Stufe herab; was Andere Species nennen, nannte er Genus, während seine Species einem Theil der Varietäten anderer Botaniker entsprechen.

Die Behandlung der Varietäten ist ein Schandfleck der heutigen wissenschaftlichen Botanik. Nur wenige botanische Schriftsteller giebt es, welche sich mit Umsicht und ausdauerndem Fleisse die Untersuchung aller Varietäten der von ihnen bearbeiteten Pflanzengattungen zur Aufgabe gestellt haben. Eine solche rühmliche Ausnahme bildet namentlich J. N. BAYER (Monogr. Tiliae generis in Verhandl. zool. bot. Ges. Wien 1862), der die Formen der Linden übersichtlich dargestellt ') hat. Noch wichtiger sind die Studien CASPARY'S über Nymphaea alba, weil sie durch Culturen und Hybridisations versuche vervollständigt werden. Ueber die Samenbeständigkeit der Varietäten hat ferner H. HOFFMANN in Giessen längere Reihen von lehrreichen Experimenten angestellt, freilich zum Theil in einer Weise, die manchen Einwürfen Raum giebt. JORDAN'S und NAUDIN's Pflanzenkulturen hatten zunächst andere Ziele im Auge, kommen aber doch der Lehre von der Art zu Statten. Auch GoDRON hat manche brauchbare Versuche gemacht. Um aber eine Vorstellung davon zu erhalten, in wie planloser Weise mit sogenannten Varietäten experimentirt werden

1) Donec ex una formarum serie unicum solum specimen in herbariis notum est diagnosin componere non est difficile: quando vero e regionibus et terris compluribus diversissimae formae colliguntur, lites de quaestione bonae vel malae speciei numquam fere componuntur. BAYER 1. c. pag. 7.

kann, muss man WIGAND's Darwinismus S. 414-417 lesen. Ein einstündiger Spaziergang durch die Saatbeete eines Blumenzüchters dürfte lehrreicher sein, als ganze Reihen derartiger wissenschaftlicher Versuche. Die Vernachlässigung, welche die Varietäten Seitens der grossen Mehrzahl der Systematiker erfahren haben, kann nicht nachdrücklicher gerügt werden, als es durch die Begriffsverwirrung geschieht, welche über das Wesen der Varietäten herrscht.

Man spricht und schreibt einander gewöhnlich den Lehrsatz nach, die Erfahrung zeige, dass die Arten beständig, die Varietäten veränderlich seien. In Wahrheit glaubt Niemand an diese Doctrin, denn Jedermann bewilligt ganz unbedenklich für besonders ausgezeichnete Zuchtthiere oder Sämereien die doppelten oder vielfachen Preise, weil er überzeugt ist, dass die Nachkommenschaft die Eigenschaften der vorigen Generation erben wird. Die Erfahrung zeigt daher in Wirklichkeit etwas ganz Anderes, als was jener unsinnige Lehrsatz behauptet; wir wissen, dass in der unendlichen Mehrzahl der Fälle die Nachkommenschaft ihren Vorfahren ausserordentlich ähnlich ist. Man ziehe seine Erfahrungen beim Menschengeschlechte zu Rathe und man wird finden, dass sich diese Regel überall bestätigt; man muss indess berücksichtigen, dass es nicht die unmittelbaren Stammeltern eines Organismus allein sind, welche dessen morphologische und physiologische Charaktere bestimmen. Für das Thierreich sind die Gesetze der Vererbung sorgfältig untersucht worden (vergl. z. B. HAECKEL, Natürl. Schöpfungsgesch. Neunter Vortr.). Im Pflanzenreiche ist die sichere Erkenntniss der Vererbungsgesetze dadurch erschwert, dass man wegen der meist zwitterigen Blüthen und der Uebertragbarkeit des Pollens aus grösserer Entfernung die Bildungsgeschichte jeder einzelnen Form viel schwerer überwachen. kann. Wenn man von Beständigkeit einer Pflanzenform spricht, so sind zunächst zwei verschiedene Fälle aus einander zu halten, nämlich erstens die Beständigkeit bei reiner Inzucht und zweitens die Beständigkeit bei Mischung mit nahestehenden Formen. Ein sicheres Urtheil über das Verhalten der einzelnen Formen unter verschiedenen Umständen lässt sich nur durch den Versuch gewinnen. Es ist aber vor allen Dingen erforderlich, dass die beabsichtigten Experimente auch in wirklich sachgemässer Weise angestellt werden. So sollte es sich von selbst verstehen, dass man alle von Händlern bezogenen Samen vor Anstellung von Versuchen einige Jahre hindurch prüfen muss, um zu erfahren, ob

man überhaupt mit rein gehaltenen Formen experimentirt. Ohne diese Vorsichtmaassregel sind die vermeintlichen Aussaatversuche Nichts als Spielereien. Bei einigen Nachdenken und einiger Erfahrung wird man sich die Regeln der botanischen Experimentirkunst leicht ableiten können. Wenn man aber alle Formen, die in irgend welcher Weise von einem angenommenen Normaltypus abweichen, Varietäten nennt, und wenn man sich dann eine beliebige Anzahl solcher Varietäten aus Feldern und Gärten zusammensucht, so darf man sich nicht wundern, wenn man die widersprechendsten Resultate erhält. Es fehlt uns bisher durchaus an Versuchsgärten, welche sich mit der Prüfung der Abänderungen nach wissenschaftlichen Grundsätzen beschäftigen. Solche Gärten sind aber ein dringendes Bedürfniss nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für den Züchter, dem jetzt jede wissenschaftliche Grundlage für seine einmal üblichen Methoden fehlt.

Unter diesen Umständen kann man nur über ein verhältnissmässig kleines Material wirklich zuverlässiger Beobachtungen verfügen. Einzelne Thatsachen sind natürlich in grosser Zahl bekannt, allein in der Regel ohne genügend umsichtige Prüfung aller für die Beurtheilung wichtigen Umstände. Bei Untersuchung der Beständigkeit wildwachsend gefundener Pflanzenformen hat man im Allgemeinen folgende Ergebnisse verzeichnet. Abgeänderte Formen, welche in einer bestimmten Gegend in grosser Individuenzahl vorkommen, ohne sich von ganz besonderen Standortsverhältnissen abhängig zu zeigen, sind in der Regel streng samenbeständig, die Abänderung mag in noch so geringfügigen Merkmalen begründet sein (JORDAN'S Species). Abänderungen, welche an Bodenverhältnisse gebunden scheinen, sind theils ganz unbeständig, theils zu Rückschlägen geneigt, theils aber auch, so weit die Versuche reichen, wirklich beständig. Abänderungen, welche vereinzelt zwischen den Normalformen gefunden werden, sind im Allgemeinen unbeständig. Abweichende Blattformen und Mangel von Nebenorganen scheinen in solchen Fällen leichter vererbt zu werden, als Blüthenfarbe, Füllung der Blüthen, monströse Bildungen u. s. w., die, sobald sie isolirt auftreten, gar keine Neigung zur Vererbung ihrer abweichenden Eigenschaften auf die Nachkommen zu besitzen scheinen. Solche isolirte Abänderungen, die unter dem Einflusse starker Düngung oder Bewässerung entstanden sind, lassen sich auf anderem Boden niemals aus Samen fortpflanzen.

Unter unsern angebauten Pflanzen kennen wir unzählige Abänderungen, die streng erblich zu sein scheinen, namentlich sobald

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