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Sehen wir nun zunächst ab von den unteren epigastrischen, sowie von den Spinalarterien, so werden wir für die rückläufige Richtung der übrigen namentlich aufgeführten Gefässe ein gemeinsames Erklärungsprincip aufzustellen haben, das ich das Princip der Wachsthumsverschiebungen nennen will. Es ist dies keineswegs ein neues Princip, von dem nicht hin und wieder schon Gebrauch gemacht wäre, um zum Verständniss einiger Form verhältnisse zu gelangen. So erklärt man ja beispielsweise schon lange die verschiedene Lage des Rückenmark-Endes bei Kindern und Erwachsenen, sowie die daraus resultirende schief absteigende Richtung der unteren Spinalnerven aus einem ungleichmässigen Wachsthum der Länge von Wirbelsäule und Rückenmark, und Ravenel hat kürzlich die zur Begründung nothwendigen Messungen publicirt. 1) Ebenso anerkannt ist, dass der eigenthümliche Verlauf des Nervus laryngeus inferior vagi ebenfalls durch eine Wachsthumsverschiebung, durch das Herabsteigen der beiderseitigen vierten Kiemenarterien-Bogen bedingt ist. Freilich fehlen hier noch genauere Zahlen-Ermittelungen. Auf eine eigenthümliche Umkehr der ursprünglichen Verlaufsrichtung habe ich sodann in meinem Aufsatze „Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum" 2) die Aufmerksamkeit gelenkt, nämlich auf die Umkehr der ursprünglichen Verlaufsrichtung der Aa. nutritiae radii, ulnae und femoris. Ich zeigte dort, dass der Ernährungskanal in Radius und Ulna, sowie der obere canalis nutritius femoris anfangs in absteigender Richtung verlaufen, mit zunehmendem Alter aber durch Vorgänge des Knochenwachsthums, die ich wohl mit Fug und Recht ebenfalls als Wachsthumsverschiebungen bezeichnen kann, zu einer aufsteigenden Richtung gezwungen werden. Was dem Kanale widerfährt, erleidet auch sein Inhalt: Die anfangs unter spitzem Winkel vom Stamm entspringende A. nutritia der genannten Knochen

Aa. spinales entsteht die Vermuthung, dass ihre Bahnen est secundär sich ausbilden, während die primären Gefässbahnen des Rückenmarks in den spinalen Aesten der Vertebralis, Intercostales und Lumbales zu suchen wären. Es würden in diesem Falle ursprünglich schwache Anastomosen zwischen A. vertebralis und den segmentalen Spinalarterien zur stärkeren Ausbildung gelangen und die Aa. spinales formiren.

1) Die Massverhältnisse der Wirbelsäule und des Rückenmarkes beim Menschen. Zeitschr. f. Anatomie und Entwicklungsgesch. II, S. 352, 354. 2) Zeitschr. f. Anat, und Entwicklungsgesch. II, S. 308 ff.

Bd. XII. N. F. V. 2.

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wird später zu einer recurrens, deren Richtung demnach einen stumpfen Winkel mit der Fortsetzung des Stammes bildet.

Diese Erfahrungen, an den recurrirenden Ernährungsarterien der Knochen gesammelt, legten mir schon damals den Gedanken nahe, dass ähnliche Ursachen auch für die Richtung der anderen rückläufigen Arterien bestimmend sein möchten. In wie weit diese Vermuthung bei genauerer Prüfung der thatsächlichen Verhältnisse ihre Bestätigung gefunden hat, werden die folgenden Zeilen lehren. Ich werde in denselben jedoch die Frage allgemeiner stellen und nicht blos auf die rückläufigen Arterien Rücksicht nehmen, sondern auch anderer gedenken, soweit ihre Richtung durch Wachsthumsverschiebungen beeinflusst wird.

Zuvor werden wir uns aber darüber klar zu machen haben, in welcher Weise überhaupt eine Wachsthumsverschiebung im Gebiete des Arteriensystems stattfinden kann. Offenbar muss man in dieser Beziehung 2 Hauptfälle unterscheiden.

1) Es kann das Eigenwachsthum der Arterien zu verschiedenen Zeiten der Entwicklung an den verschiedenen Stellen ihres Verlaufes ein verschiedenes sein. Dass dies schon genügt, eine Veränderung der Astrichtung zu bewirken, geht aus dem Schema Fig. 1 mit aller Deutlichkeit hervor. Es ist in demselben angenommen, dass beim Anwachsen der Stamm-Arterie ab zu der Grösse AB die Unterlage resp. Umgebung der Arterie cd genau ebensoviel wachse, dass also CD-AB. Wachsen nun die ein zelnen Strecken von ab: 0-1, 1-2, 2-3 in gleichem Verhältniss, so wird keine Veränderung der Richtung der Seitenzweige m und n eintreten; wenn dagegen 1-2 beispielsweise um das 4fache wächst, während 0-1 und 2-3 sich nicht verlängern, so muss die in der Figur dargestellte Veränderung der Richtung eintreten, da ja die Enden der Seitenzweige an der Unterlage resp. Umgebung fixirt sind. Die Linien 1' 1" und 2-2′′ geben jetzt die Richtungen an.

2) Eine zweite Möglichkeit ist die, dass die Stamm-Arterien in allen ihren Stücken gleichmässig zunehmen, also so zu sagen ein proportionales inneres Wachsthum, ein gleichmässiges interstitielles Wachsthum besitzen, dass sie aber im Verhältniss zu den umgebenden Theilen langsamer oder rascher wachsen. Geht man beispielsweise bei der Betrachtung der hier vorkommenden Fälle von einem Stammgefäss aus, von welchem in regelmässigen Intervallen unter rechten Winkeln Seitenzweige entspringen (Fig. 2 u. 3 in a b bei 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6),

so wird die Richtung dieser seitlichen Zweige sofort alterirt werden, sobald Störungen im proportionalen Wachsthum der Stammarterie einerseits, ihrer Unterlage oder Umgebung andererseits eintreten. Es sind hier wieder 2 Fälle für die Gestaltung des Arteriensystems von Bedeutung:

a) Die Stamm-Arterie ab wächst langsamer als die Unterlage cd resp. die Umgebung, in welcher die Enden der Seitenzweige enthalten sind, so dass also CD>AB wird. In diesem Fallc (Fig. 2) werden die Endpunkte der Seitenzweige (0' 6') aus einander rücken, es wird also ein ganz ähnliches Bild entstehen, wie es der Längsschnitt eines Röhrenknochens im embryonalen Alter nach meinen Ermittelungen zeigt. 1) Wie in letzterem Falle die Gefässkanäle von einem neutralen Punkte 2) aus nach beiden Enden divergiren, so wird hier eine analoge Divergenz der seitlichen Zweige stattfinden; dieselben müssen nothwendiger Weise ihre Richtung verändern in der aus dem Schema Fig. 2 ersichtlichen Weise.

b) Die Stamm-Arterie wächst rascher als ihre Unterlage resp. Umgebung. Dann muss man natürlich als Endresultat in dem von mir angenommenen Falle convergirende Seitenzweige erhalten (Fig. 3, in welcher AB>CD geworden ist).

Bei der Annahme der eben erwähnten Fälle 1) und 2) a und b wurde noch vorausgesetzt, dass für die Verschiebungen der Arterien auf ihrer Unterlage nirgends ein Hinderniss existire, dass die Verschiebungen vollständig frei erfolgen können. Dies ist nun natürlich in Wirklichkeit fast niemals der Fall und so entstehen weitere Modificationen. Man kann die jedesmal resultirenden Richtungen der Seitenzweige sehr leicht durch analoge Constructionen wie die der Figuren 2 und 3 erfahren. Ich begnüge mich hier nur noch 2 specielle Fälle besonders hervorzuheben. Wenn man in Fig. 2 das untere Ende von a b in b fixirt denkt, so werden die Wachsthumsverschiebungen alle in der Richtung nach a erfolgen; es wird also der in b entspringende Seitenzweig

1) L. c., Fig. 2, Taf. XIV.

2) Ich benutze hier die Gelegenheit, eine ungenaue Angabe des Referates, welches Löwe über meine Arbeit im medicinischen Centralblatt 1876, S. 497 bis 498 gegeben hat, zu berichtigen. Ich habe den Ausdruck: „neutraler Punkt" nur von einem Punkte auf der Oberfläche des Längsschnittes gebraucht, nicht von einer Stelle an der Peripherie des Röhrenknochens". Die Löwe'sche Verbesserung: ,,neutrale Zone" ist nicht neu, sondern in derselben Arbeit, über die Löwe referirt, von mir da, wo sie wirklich hinpasst, gebraucht, z. B. bei der Erklärung der Figuren auf Taf. XVI, S. 352.

horizontal bleiben, alle höher gelegenen aber unter immer grösserem Winkel nach oben divergiren. Das Umgekehrte erhält man, wenn man b in Fig. 3 fixirt denkt. Es bleibt dann ebenfalls der unterste Seitenzweig horizontal; alle oberhalb gelegenen werden aber in der Richtung nach unten convergiren, und zwar wird der Neigungswinkel gegen ab um so spitzer sein, je näher an a der Zweig entspringt.

Die im Vorstehenden erörterten verschiedenen Fälle von Wachsthumsverschiebungen bezogen sich vorzugsweise auf Stammarterien und deren parietale Zweige. Ich habe dabei besonders an die Aorta und die aus ihr entspringenden Intercostal- und Lumbal-Arterien gedacht, wie ich unten des Weiteren ausführen werde. Für die visceralen Aeste der Aorta kommt aber noch eine Möglichkeit in Betracht: die Abgangstelle von der Aorta kann im Wesentlichen ihre Lage zum Skeletsystem beibehalten, während das Ende des Seitenzweiges mit dem durch ihn versorgten Eingeweide eine wesentliche Lageveränderung im Laufe der Entwicklung durchmacht und dadurch modificirend auf die Astrichtung einwirkt. Das auffallendste Beispiel dieser Art ist das Verhalten der Arteria spermatica interna, die mit dem fortschreitenden Descensus testiculorum immer mehr verlängert und zu einem zunehmenden spitzwinkligen Ursprunge aus der Aorta gezwungen wird. Ein anderes Beispiel werden wir in dem Verhalten der A. thyreoidea superior und inferior kennen lernen. Beide werden in ihrer Richtung durch das Herabsteigen der Glandula thyreoidea beeinflusst.

In der Arteria spermatica interna haben wir zugleich ein frappantes Beispiel von ungleichmässigem Längenwachsthum im Gebiete des Arterienbaumes. Es ist schon aus den Thatsachen des Descens testiculorum selbstverständlich, dass die A. spermatica interna in dem Masse, als der Hoden herabsteigt, im Längenwachsthum bedeutend das unterhalb ihres Ursprungs gelegene Stück der Aorta abdominalis überflügeln muss: sie nimmt in derselben Zeiteinheit um ein grösseres Stück der Länge nach zu, als die Aorta descendens. Es ergiebt sich demnach schon aus dieser einen Thatsache, dass die Längenzunahme der Arterien durchaus nicht überall eine gleichmässige ist.

Für eine andere Stelle habe ich ein ungleichmässiges Längenwachsthum durch Messungen festgestellt. Vergleicht man die Gesammtlänge der Carotis communis dextra + A. anonyma mit der Gesammtlänge der Aorta descendens, so ergibt sich (vergl.

Tabelle I), dass die Länge der ersteren Arterien während des fötalen Lebens relativ bedeutender ist als wie nach vollendetem Wachsthum. Es folgt daraus, dass die Aorta descendens als Ganzes bedeutender an Länge zunimmt, wie A. anonyma und A. carotis communis.

Tabelle I.

Relatives Wachsthum der Carotis communis und Aorta descendens.')

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5)

Wir ersehen aus vorstehender Tabelle, wenn die Aorta descendens 100 gesetzt wird, dass die Carotidenlänge (carotis comm. dextra + anonyma) während des fötalen Lebens (13 resp. 18 Wochen) mehr als die Hälfte der Aortenlänge beträgt (53 resp. 54,3), während das Mittel aus den 6 aufgeführten Messungen bei Erwachsenen (38,7) sich weit unterhalb der halben Aortenlänge befindet. Ich gebe gern zu, dass die wenigen Zahlen, welche ich hier und in der Folge bis jetzt mittheilen kann, noch nicht zur definitiven Feststellung der Wachsthumsverhältnisse genügen, da ja der durch die individuellen Verschiedenheiten bedingte Fehler immer nur durch grössere Reihen von Messungen auszugleichen ist. Indessen dürfte auf einem Gebiete, das noch gänzlich unbearbeitet ist, jede Mittheilung von Material und die sich auf dieses allerdings noch unvollständige Material stützenden Folgerungen mittheilenswerth sein, um so mehr, als sie andeuten, worauf die

1) Maasse hier und in den folgenden Tabellen in Millimetern.

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